Teilrevision des Kartellgesetzes: Bundesrat verabschiedet Botschaft

Abstract

Der Bundesrat hat am 24. Mai 2023 die Botschaft zur Revision des Schweizer Kartellgesetzes verabschiedet: Die Auswirkungskontrolle bei Wettbewerbsabreden soll wieder eingeführt werden. Neben Erleichterungen bei der Meldepflicht soll in Fusionskontrollverfahren die Eingriffsschwelle gesenkt werden. Zudem stärkt die Botschaft das Kartellzivilrecht und modifiziert das Kartellverwaltungsverfahren. Die Vorlage geht nun in die Parlamentarische Beratung. Mit dem Inkrafttreten ist frühestens 2024 zu rechnen.

Ausgangslage

Am 24. Mai 2023 hat der Bundesrat die Botschaft zur Teilrevision des Kartellgesetzes (Botschaft) verabschiedet. Wie schon der im November 2021 vorgelegte Vorentwurf betrifft der Entwurf zur Revision des Kartellgesetzes (E-KG) vier Regelungsmaterien: (1) Wiedereinführung der Auswirkungskontrolle bei Wettbewerbsabreden; (2) Modernisierung der Fusionskontrolle namentlich durch Erleichterungen bei der Meldepflicht und Einführung eines neuen materiellen Prüfkriteriums; (3) Stärkung des Kartellzivilrechts, insbesondere durch Ausweitung der Klagelegitimation auf Konsumenten; und (4) Modifizierung des Kartellverfahrens. Im Vergleich zum Vorentwurf hat die Vernehmlassung zu gewissen Anpassungen geführt, insbesondere in Bezug auf die Auswirkungskontrolle bei Wettbewerbsabreden; insgesamt folgt der Entwurf aber weitgehend dem Vorentwurf. Das Geschäft geht nun dorthin, wo der letzte Anlauf zu einer Revision des Kartellgesetzes (KG) im Jahr 2012 scheiterte: in die parlamentarische Beratung.

Getrennt von diesem Revisionsvorhaben wird eine Reform der Wettbewerbsbehörden geprüft (Institutionenreform). Der Bundesrat hatte am 17. März 2023 das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) mit der Einsetzung einer Expertenkommission beauftragt. Diese wurde unter dem Vorsitz von a. Bundesrichter Prof. Hansjörg Seiler per 1. Mai 2023 eingesetzt und wird bis Ende des Jahres Optionen prüfen.

I. Wiedereinführung der Auswirkungskontrolle bei harten Wettbewerbsabreden

Mit dem Urteil des Bundesgerichts in Sachen Gaba (BGE 143 II 297 vom 28. Juni 2016) wurde die langjährige Praxis der Wettbewerbskommission (WEKO) zum Tatbestand der unzulässigen Abreden nach Art. 5 KG geändert bzw. verschärft. Gemäss diesem Urteil sind Abreden nach Art. 5 Abs. 3 und 4 KG (harte horizontale und vertikale Abreden) grundsätzlich erheblich. Seit diesem Urteil war daher grundsätzlich nicht mehr zu prüfen, ob solche Abreden den Wettbewerb tatsächlich beeinträchtigen, d.h. ob sie umgesetzt wurden und was ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb sind.

Als Reaktion auf das Gaba-Urteil wurde der Bundesrat mit der Motion Français vom 13. Dezember 2018 aufgefordert, Art. 5 KG dahingehend anzupassen, dass beim Tatbestand der unzulässigen Wettbewerbsabrede sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien zu berücksichtigen sind. Dieser Kernpunkt der Motion wird in Art. 5 Abs. 1bis E-KG übernommen. Qualitative Kriterien betreffen die Eigenschaften der Abrede, quantitative Kriterien zur Beurteilung der Erheblichkeit sind etwa Marktanteile, Umsätze oder Markteintritte bzw. Marktaustritte.

Um weiteren Bedenken, die im Rahmen der Vernehmlassung an der Praxis der Abredenkontrolle geäussert wurde, Rechnung zu tragen, ergänzt der Bundesrat diese Bestimmung zudem mit zwei weiteren Anpassungen:

  • Erstens hält Art. 4 Abs. 1bis E-KG ausdrücklich fest, dass Arbeitsgemeinschaften (ARGE), die «wirksamen Wettbewerb ermöglichen oder diesen stärken», nicht als Wettbewerbsabreden gelten. Die Botschaft hält fest, dass zu den hiernach zulässigen ARGE auch Fälle einer Zusammenarbeit gehören, in denen die mit einem Projekt verbundenen Risiken für ein einzelnes Unternehmen nicht tragbar sind (S. 33).
  • Zweitens hält Art. 27 Abs. 1bis E-KG das Opportunitätsprinzip ausdrücklich fest, wonach bei «Anhaltspunkten für leichte Verstösse» auf eine Untersuchung verzichtet bzw. diese eingestellt werden kann. Gemäss Botschaft bestimmt sich die Schwere des Verstosses anhand des Schädigungspotenzials der Wettbewerbsbeschränkung, namentlich auch mit Blick auf deren Umfang und Dauer (S. 41). Gestützt auf das Opportunitätsprinzip erfolgende Erleichterungen kommen nicht nur in Bezug auf harte Wettbewerbsabreden (Art. 5 Abs. 3 und 4 KG), sondern auch in Bezug auf grundsätzlich bussenbewehrte Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen (Art. 7 KG) in Betracht.

II. Fusionskontrolle

Die Reform der Fusionskontrolle umfasst insbesondere Erleichterungen bei der Meldepflicht und die Einführung einer neuen Eingriffsschwelle in Form des SIEC-Tests (significant impediment to effective competition; signifikante Behinderung wirksamen Wettbewerbs).

A. Erleichterungen bei der Meldepflicht

Bei internationalen Zusammenschlüssen, die auch von der Europäischen Kommission beurteilt werden, soll die Meldepflicht gemäss Botschaft entfallen, wenn sämtliche vom Vorhaben betroffenen sachlichen Märkte räumlich so abzugrenzen sind, dass sie die Schweiz und zumindest den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) erfassen (Art. 9 Abs. 1bis E-KG).

Die betroffenen Unternehmen werden dadurch in Fällen, in denen ausschliesslich Märkte in Frage stehen, die mindestens die Schweiz und den EWR umfassen, davon befreit, den Zusammenschluss parallel bei der EU-Kommission und bei der WEKO zu melden. Dies ist sachlich gerechtfertigt, da inskünftig bei der Prüfung von Zusammenschlussvorhaben auch in der Schweiz der heute in der EU bereits geltende SIEC-Test Anwendung finden soll, weshalb abweichende Ergebnisse nicht zu erwarten wären. Damit dürften für die Unternehmen gewisse Erleichterungen verbunden sein, die jedoch nicht zu überschätzen sind: Schon heute beruht die Meldung in der Schweiz in solchen Fällen regelmässig auf derjenigen bei der EU-Kommission. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass die Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes zu Diskussionen Anlass geben kann und ein Zusammenschluss im Zweifelsfall trotzdem bei der WEKO gemeldet werden müsste – zumal die Botschaft ausdrücklich festhält, dass die Prüfung der Voraussetzungen für einen Meldungsverzicht den betroffenen Unternehmen obliegt und bei einem irrtümlichen Verzicht auf die Meldung «unverzüglich» zu melden sei (S. 34 f.).

B. Herabsetzung der Eingriffsschwelle bei Zusammenschlüssen

1. Ausgangslage

Mit der Botschaft wird ein neuer Anlauf genommen, den sogenannten SIEC-Test einzuführen. Seit Einführung dieses Tests im europäischen Kartellrecht im Jahr 2004 wird in der Schweiz über eine Angleichung der Rechtslage diskutiert.

Nach geltendem Recht gilt der qualifizierte Marktbeherrschungstest (dominance plus). Das heisst, dass die WEKO einen Zusammenschluss erst untersagen bzw. mit Auflagen oder Bedingungen genehmigen kann, wenn der Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, durch die wirksamer Wettbewerb beseitigt werden kann (Art. 10 Abs. 2 KG).

2. Eingreifkriterien des SIEC-Tests

Mit der Einführung des SIEC-Tests kann die WEKO bei Zusammenschlüssen schon eingreifen, wenn sie (i) den wirksamen Wettbewerb signifikant behindern und (ii) keine von den meldenden Unternehmen begründeten und überprüfbaren Effizienzvorteile für die Konsumenten bewirken, welche die Nachteile der signifikanten Behinderung des Wettbewerbs ausgleichen (Art. 10 Abs. 2 E-KG). Im Unterschied zum Marktbeherrschungstest ermöglicht der SIEC-Test insbesondere Eingriffe bei unilateralen (nicht-koordinierten) Effekten unterhalb der Schwelle für eine Einzelmarktbeherrschung (gap cases). Unilaterale Effekte ergeben sich, wenn ein Zusammenschluss in einem Oligopolmarkt dazu führt, dass zwar keine Marktbeherrschung begründet, aber der gegenseitig ausgeübte Wettbewerbsdruck reduziert wird. Konzeptionell sollen damit Wohlfahrtsverluste (z.B. Preiserhöhungen bei differenzierten Produkten) bei Fusionen naher Wettbewerber in oligopolistischen Märkten verhindert werden.

3. Berücksichtigung von Effizienzvorteilen zugunsten von Nachfragern

Gemäss dem E-KG müssen allfällige rechtfertigende Effizienzvorteile ähnlich wie bei der Regelung im EU-Fusionskontrollrecht den Nachfragern zugutekommen. Die Botschaft hält fest, ein solcher Vorteil könne sich auch in dynamischer Hinsicht ergeben, etwa durch Realisierung von Innovationspotenzialen (S. 38) – der noch im Begleitbericht zum Vorentwurf verwendete Begriff des «dynamischen Konsumentenwohlfahrtsstandards» wird nicht mehr aufgegriffen. Gegenüber dem Vorentwurf präzisiert der Wortlaut von Art. 10 Abs. 2 Bst. b KG, dass die Effizienzvorteile «begründet und überprüfbar» sein müssen. Gemäss Botschaft unterstreicht diese Formulierung die «gesteigerte Mitwirkungs- und Substantiierungspflicht» der Unternehmen (S. 38).

4. Tiefere Eingriffsschwellen

Die Aufgreifschwellen der Fusionskontrolle bleiben nach dem Entwurf unverändert, weshalb die Anzahl Meldungen aufgrund der Einführung des SIEC-Tests nicht ansteigen wird. Hingegen ist von einer tieferen Eingriffsschwelle und mehr Prüfungsverfahren (Phase II) auszugehen: Erstens entfällt die Voraussetzung der Möglichkeit zur Beseitigung des Wettbewerbs, was einzelne Fusionen erschweren dürfte. Zweitens kann darüber hinaus auch bei unilateralen Effekten unterhalb der Schwelle einer (Einzel-)Marktbeherrschung eingegriffen werden.

Ob dies tatsächlich zu mehr Eingriffen führen wird, bleibt abzuwarten. Zunächst hat die WEKO das Konzept der kollektiven Marktbeherrschung bereits nach geltendem Recht weitreichend interpretiert. Zudem ist offen, welche Anforderungen in der Praxis an den Nachweis der erheblichen Behinderung des wirksamen Wettbewerbs gestellt werden. Ein Blick in die EU zeigt die mögliche Bandbreite: Nach zunehmend interventionistischer Anwendung des SIEC-Tests durch die Europäische Kommission steht diese Praxis im Moment auf dem Prüfstand der Rechtsmittelkontrolle (vgl. Urteil EuG T-399/16 in Sachen CK Telecoms UK Investments / Europäische Kommission vom 28. Mai 2020, Rechtsmittel beim EuGH anhängig, Rs. C-376/20).

5. Auswirkungen für Unternehmen

Nach Einführung des SIEC-Tests würden ökonomischen Analysen voraussichtlich vermehrt eingesetzt, insbesondere zur Bestimmung der Wettbewerbsnähe als einem Faktor der Analyse von unilateralen Effekten. Dies dürfte die Komplexität von Verfahren in der Phase II erhöhen und sich kostentreibend auswirken. Darüber hinaus sind Mehraufwände auch im Hinblick auf die präzise und umfassende Darlegung von Effizienzvorteilen zu erwarten. In die Richtung längerer Verfahren weist die im E-KG (Art. 32 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 4) enthaltene Möglichkeit, die Fristen im Prüfungsverfahren mit Zustimmung der meldenden Unternehmen zu verlängern.

Es liegt allerdings in den Händen der WEKO, wie weitreichend sie den SIEC-Test anwenden und welche Informationserfordernisse sie in der Praxis entwickeln wird. Die diesbezügliche Flexibilität des Tests zeigt sich etwa darin, dass der Aufwand für Fusionskontrollverfahren vor der Europäischen Kommission stetig gestiegen ist (z.B. umfassende Informationsanfragen und lange Pränotifizierungsverfahren), während in Deutschland der zusätzliche Informationsaufwand nach Einführung des SIEC-Tests eher moderat ausfiel. Bei einer Einführung des SIEC-Tests in der Schweiz ist zumindest in einer ersten Phase mangels etablierter Behördenpraxis von steigender Rechtsunsicherheit für Unternehmen auszugehen.

III. Änderungen im Kartellzivilrecht

Ein weiteres zentrales Anliegen der Teilrevision des KG ist die Stärkung des Kartellzivilrechts, das in der Schweiz bislang nur geringe Bedeutung erlangt hat. Die wichtigsten Änderungen hierzu werden nachfolgend vorgestellt.

A. Erweiterung der Aktivlegitimation auf Konsumenten

Gegenwärtig sind nach herrschender Auffassung aufgrund des Wortlauts von Art. 12 KG Endkunden und damit insbesondere Konsumenten im Fall einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung nicht aktivlegitimiert, zivilrechtliche Ansprüche geltend zu machen. Dadurch kommt es unter Umständen zu einer Haftungslücke: Ein den Wettbewerb behinderndes Unternehmen kann sich gegen Schadenersatzforderungen anderer Unternehmen unter Umständen mit dem Einwand verteidigen, dass diese keinen Schaden erlitten hätten, weil sie den aufgrund der unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung zu viel bezahlten Preis auf die nachgelagerte Marktstufe – letztlich also auf die Konsumenten – überwälzen konnten (sog. passing on defence). Diese Endkunden können ihrerseits Schadenersatzansprüche mangels Aktivlegitimation nicht geltend machen.

Der Bundesrat sieht nun in der Botschaft vor, die Möglichkeit der zivilrechtlichen Klage, die heute auf Wettbewerber beschränkt ist, auf alle von Kartellen in ihren wirtschaftlichen Interessen Betroffenen auszudehnen (Art. 12 E-KG). Dadurch werden in Zukunft auch Endkunden (z.B. auch öffentliche Auftraggeber) ihre Rechte zivilrechtlich geltend machen können.

Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass es potentiell zu mehr Kartellzivilansprüchen kommt. Offen ist, wie viele Konsumenten tatsächlich eine Klage einleiten, insbesondere bei geringen Streitwerten. Hier bleibt abzuwarten, ob Ansprüche vermehrt kollektiv, z.B. durch Konsumentenschutzorganisationen, geltend gemacht werden. Dies soll gemäss Botschaft grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln des Zivilprozessrechts möglich sein. Konsumentenorganisationen können gemäss Botschaft dann nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen klagen, wenn sie sich die Forderungen von den Konsumentinnen und Konsumenten abtreten lassen, soweit sie nicht selbst unmittelbar geschädigt sind.

B. Verjährungshemmung während Untersuchungsverfahren

Auf Forderungen aus unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen kommt die deliktsrechtliche relative Verjährungsfrist von 3 Jahren gemäss Art. 60 Obligationenrecht (OR) zur Anwendung. Die Verjährung von Forderungen aus unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen soll deshalb künftig ab der Eröffnung einer Untersuchung durch die WEKO bis zum rechtskräftigen Entscheid stillstehen (Art. 12a Abs. 1 E-KG). Die Verjährung würde gemäss Art. 134 Abs. 2 OR anschliessend anfangen bzw. weiterlaufen. Damit soll das Problem entschärft werden, dass die Geschädigten im Zivilverfahren gezwungen sind, frühzeitig Klage anzuheben. Gemäss Botschaft umfasst die Bestimmung in Art. 12a Abs. 1 E-KG auch Forderungen, die eine Geschädigte bzw. ein Geschädigter gegenüber einer an einem Verstoss gegen das KG beteiligten Person erhebt, die nicht Partei der Untersuchung ist. Zudem umfasst sie sämtliche Konzerngesellschaften.

Diese Änderung entspricht im Wesentlichen der Rechtslage in der EU (vgl. Art 10 Abs. 4 der Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104/EU).

C. Reduktion von Verwaltungssanktionen bei Schadenersatzleistungen

Art. 49a wird im E-KG durch einen neuen Abs. 5 betreffend Berücksichtigung von Schadenersatzleistungen bei der Sanktionsbemessung ergänzt. Dies betrifft Fälle, in denen ein im Verwaltungsverfahren durch die WEKO sanktioniertes Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt freiwillig (d.h., ohne von einem Zivilgericht hierzu verpflichtet worden zu sein) Schadenersatz- oder Genugtuungszahlungen leistet oder Gewinn herausgibt. Diesfalls kann das Unternehmen die WEKO bzw. die Beschwerdeinstanz mit einem Revisionsgesuch um eine angemessene Reduktion der Verwaltungssanktionen ersuchen.

Somit sollen bei der Bemessung von Verwaltungssanktionen auch allfällige später und freiwillig geleistete Schadenersatzzahlungen durch beteiligte Unternehmen an Geschädigte berücksichtigt werden. Unternehmen haben unter Umständen dadurch einen Anreiz, sich in Zivilverfahren früh mit Geschädigten zu einigen. Dies entspricht auch der jüngeren Praxis der WEKO, die freiwillige Leistungen im Rahmen eines Vergleiches mit dem Geschädigten bei der Sanktionsbemessung berücksichtigt (Bauleistungen Graubünden).

IV. Änderungen im Verwaltungsverfahrensrecht

A. Stärkung des Untersuchungsgrundsatzes und der Unschuldsvermutung

Mit dem E-KG setzt der Bundesrat auch zwei Anliegen der Motion Wicki vom 30. September 2021 (21.4189) um.

  • Stärkung des Untersuchungsgrundsatzes: Neu soll der Untersuchungsgrundsatz ausdrücklich im Kartellgesetz verankert werden (Art. 39a E-KG). Insbesondere wird klargestellt, dass die Wettbewerbsbehörden die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt abzuklären haben.
  • Stärkung der Unschuldsvermutung: Neben der ausdrücklichen Nennung der Unschuldsvermutung wird festgehalten, dass die Beweislast für das Vorhandensein der tatsächlichen Voraussetzungen einer vorgeworfenen Verhaltensweise bei den Behörden liegt (Art. 53 Abs. 3 und 4 E-KG).

Sowohl der Untersuchungsgrundsatz als auch die Unschuldsvermutung gelten bereits nach geltendem Recht, sodass die praktischen Auswirkungen der Bestimmungen nicht überschätzt werden dürfen. Jedoch dürfte insbesondere der in Anlehnung an Art. 6 Strafprozessordnung formulierte Art. 39a Abs. 3 E-KG die Wettbewerbsbehörden und Rechtsmittelinstanzen daran erinnern, dass auch entlastende Tatsachen mit gleicher Sorgfalt abzuklären und die einschlägigen strafrechtlichen Verfahrensgarantien zu beachten sind. Zudem werden die Behörden inskünftig das Vorliegen oder Fehlen von Effizienzgründen untersuchen bzw. beweisen müssen, was allerdings eine Mitwirkung der betroffenen Unternehmen erfordert.

B. Widerspruchsverfahren

Gemäss Art. 49a Abs 3 Bst. a KG kann ein Unternehmen der WEKO im Rahmen des Widerspruchsverfahrens geplante Verhaltensweisen, die als unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen eingestuft werden könnten, vorab melden. Nach aktueller Rechtslage entfällt die Verwaltungssanktion für die gemeldete Verhaltensweise, wenn die WEKO nicht innert fünf Monaten ein Verfahren gegen das Unternehmen eröffnet. Das Verfahren dient dazu, dass die Unternehmen innert nützlicher Frist eine Einschätzung der WEKO darüber erhalten können, ob eine Verhaltensweise sanktionsbedroht sein könnte.

Dieses Verfahren soll in Art. 49a Abs. 4 E-KG überführt und in zwei Punkten angepasst werden. Zum einen soll die Frist, innert derer die WEKO tätig werden muss, auf zwei Monate verkürzt werden. Zum anderen soll künftig einzig die Eröffnung einer formellen Untersuchung gemäss Art. 27 KG und nicht, wie bislang, die Eröffnung einer einfachen Vorabklärung gemäss Art. 26 KG dazu führen, dass das Sanktionsrisiko wieder auflebt. Neu soll für das gemeldete Verhalten das direkte Sanktionsrisiko somit in allen Fällen, in denen die WEKO keine Untersuchung innert der Widerspruchsfrist eröffnet, definitiv entfallen.

Aus Unternehmenssicht stellt sich die Frage, ob diese Anpassungen ausreichend sind, um die Attraktivität des Widerspruchverfahrens nachhaltig zu erhöhen. Für die Unternehmen kommt es nämlich vor allem auf die Gesamtfrist an, innert welcher ein Verfahren abgeschlossen werden kann. Für Unternehmen ist es zudem wenig attraktiv, wenn ein Sanktionsrisiko durch Eröffnung einer Untersuchung wieder auflebt. Ein Unternehmen wird sich daher überlegen müssen, ob es umfangreiche Investitionen in ein Projekt tätigt, wenn es damit rechnen muss, durch Eröffnung einer Untersuchung wieder für mehrere Jahre einem Sanktionsrisiko ausgesetzt zu sein.

C. Einführung von Ordnungsfristen und Parteientschädigung

Die Motion Fournier beauftragt den Bundesrat erstens damit, wettbewerbsrechtliche Gerichtsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Zweitens wird verlangt, dass die Parteien in verwaltungsrechtlichen Kartellverfahren eine Entschädigung für ihre Kosten erhalten:

Der VE-KG sieht für Untersuchungsverfahren die Einführung von Ordnungsfristen nach dem Grundsatz comply or explain vor (Art. 44a E-KG). Die Ordnungsfristen betragen 30 Monate für die WEKO, 18 Monate für das BVGer und 12 Monate für das Bundesgericht. Dies bedeutet, dass von der Eröffnung der Untersuchung bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen letztinstanzlichen Entscheids gesamthaft höchstens 5 Jahre vergehen sollen.

Die Wirkung der Ordnungsfristen dürfte in der Praxis begrenzt bleiben. Auch ohne die Aufnahme formeller Ordnungsfristen in das KG gilt der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung schon heute.

Sodann wird die Einführung einer Parteientschädigung im erstinstanzlichen Kartellverwaltungsverfahren vorgeschlagen (Art. 53b E-KG). Sofern eine Untersuchung – ganz oder teilweise – eingestellt wird, kann eine Parteientschädigung zugesprochen werden. Art. 53b E-KG stellt eine lex specialis zu Art. 64 VwVG dar, wonach im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren grundsätzlich keine Parteientschädigung geschuldet ist.

Kartellrechtliche Verwaltungsverfahren vor der WEKO sind in der Praxis häufig aufwendig und komplex. Die vorgesehene Einführung einer Parteientschädigung wird in der Praxis zu erheblichen Erleichterungen für Unternehmen führen, die von einer Untersuchung betroffen sind, die eingestellt bzw. deren Entscheid aufgehoben wird.

Nächste Schritte

Die Vorlage wird nun in die parlamentarische Beratung gehen. Mit einem Inkrafttreten des revidierten KG ist nicht vor 2024 zu rechnen.

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