Schweizer Investitionskontrolle: Bundesrat definiert Grundsätze

Abstract

Der Bundesrat hat der Vorlage für eine Schweizer Investitionskontrolle erste Konturen verliehen. Die Investitionskontrolle soll nicht nur dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dienen, sondern auch den wirksamen Wettbewerb bei Involvierung von ausländischen staatlichen Investoren sicherstellen. Die Erlangung der Kontrolle über inländische Unternehmen in bestimmten Branchen durch ausländische Investoren soll überprüft werden bei nicht substitiuierbaren Leistungen sowie kritischen Abhängigkeiten staatlicher Einheiten in sicherheitsrelevanten Bereichen wie Verteidigung, Cybersecurity oder Raumfahrt. Unabhängig von der Branche ist bei Investitionen von ausländischen Staaten oder staatsnahen Akteuren ein Screening vorgesehen.

Ausgangslage

Die Schweiz ist traditionell offen für ausländische Direktinvestitionen und kennt bisher keinen gesetzlich festgelegten Mechanismus zur systematischen Überprüfung von ausländischen Investitionsvorhaben (Investitionskontrolle).

Auf internationaler Ebene sind Investitionskontrollen hingegen regelmässig anzutreffen. So haben 18 Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Europäischen Kommission angezeigt, dass ein Screening-Mechanismus in ihrer nationalen Rechtsordnung besteht. Auch die meisten grossen Volkswirtschaften – einschliesslich aller G7-Mitgliedstaaten – verfügen über eine Investitionskontrolle. Die Rechtsentwicklung ist dynamisch und weist in Richtung einer Verschärfung der Investitionskontrollen. Vermehrt erfassen Investitionskontrollen auch kritische Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz, Robotik, Halbleiter, Cybersicherheit, Luft- und Raumfahrt, Verteidigung, Energiespeicherung, Quanten- und Nukleartechnologien sowie Nano- und Biotechnologie.

Vor diesem Hintergrund gelangte die Investitionskontrolle auch in der Schweiz auf die politische Agenda. Die Motion Rieder (18.3021) verlangt, dass der Bundesrat die gesetzlichen Grundlagen für eine Investitionskontrolle ausländischer Direktinvestitionen in Schweizer Unternehmen schafft und hierfür eine Genehmigungsbehörde einsetzt. Trotz der Einschätzung des Bundesrates, wonach sich die liberale Politik der Schweiz im Bereich der Direktinvestitionen bewährt habe und zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Know-how in der Schweiz beitrage, gaben sowohl der Stände- als auch der Nationalrat im Juni 2019 bzw. März 2020 der Motion Rieder statt.

Am 25. August 2021 hat der Bundesrat die Eckpunkte seiner Vorlage für die Schweizer Investitionskontrolle vorgestellt.

Eckpunkte einer Schweizer Investitionskontrolle

(i) Zielsetzung

Regeln im Bereich der Investitionskontrolle sollen zielgerichtet, effizient und administrativ schlank ausgestaltet sein, ohne volkswirtschaftlich erwünschte Direktinvestitionen zu vereiteln. Aus Sicht der betroffenen Wirtschaftssubjekte soll die Regelung nichtdiskriminierend, transparent und verhältnismässig sein und so für Rechtssicherheit sorgen.

Der Bundesrat nennt zwei Ziele, die mit der Investitionskontrolle verfolgt werden sollen:

  • Der Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor Gefährdungen oder Bedrohungen durch Übernahmen von inländischen Unternehmen durch ausländische Investoren;
  • Die Verhinderung von wesentlichen Wettbewerbsverzerrungen bei Übernahmen durch ausländische staatliche oder staatsnahe Investoren.

Die Zielsetzung geht über den blossen Schutz der öffentlichen Sicherheit hinaus, indem die Investitionskontrolle auch den wirksamen Wettbewerb schützen soll. Der Bundesrat beschränkt sich damit nicht auf eine Minimalvariante, sondern möchte die in der Wirtschaftsfreiheit angelegte Garantie der Privatwirtschaft auch gegenüber ausländischen staatlichen Akteuren durchsetzen.

(ii) Meldepflichtige Tatbestände

In Umsetzung der doppelten Zielsetzung soll die Investitionskontrolle zwei Fallgruppen erfassen: Erstens sieht der Bundesrat eine branchenspezifische Prüfung vor, welche den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bezweckt. Zweitens ist bei Übernahmen durch staatliche oder staatsnahe Investoren eine branchenunabhängige Prüfung vorgesehen, um allfälligen Wettbewerbsverzerrungen zu begegnen.

Die branchenspezifische Prüfung soll bei Gefährdungen oder Bedrohungen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit greifen. Für den Bundesrat stehen folgende alternativen (Gefährdungs-)Tatbestände im Vordergrund:

  • Ein Unternehmen mit einer nicht verzichtbaren und kurzfristig nicht ersetzbaren Leistung fällt aus.
  • Kritische Abhängigkeiten
    • der Schweizer Armee von Lieferanten von tragenden Rüstungskomponenten;
    • staatlicher Behörden von Lieferanten von zentralen sicherheitsrelevanten IT-Systemen;
    • internationaler Raumfahrtinfrastrukturen mit Schweizer Beteiligung von Lieferanten von tragenden Komponenten.
  • Zugriff eines böswilligen Akteurs auf eine grosse Menge an besonders schützenswerten Personendaten.

Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit fällt in Betracht, wenn (i) eine Branche betroffen ist, die der Melde- und Genehmigungspflicht unterliegt und (ii) einer der genannten Gefährdungstatbestände vorliegt. Der Bundesrat lässt bisher offen, welche Branchen unter die Investitionskontrolle fallen sollen. Teilweise erhellt aber aus den Gefährdungstatbeständen, für welche Branchen die Investitionskontrolle Anwendung finden soll. Beispielsweise dürften die Bereiche Sicherheit und Verteidigung erfasst sein. Insbesondere Übernahmen von Unternehmen der sicherheitsrelevanten Technologie- und Industriebasis (STIB), die Komponenten für kritische Einsatzsysteme der Schweizer Armee bereitstellen, können Bedenken in Bezug auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit wecken. Sodann sind etwa Aktivitäten in den Branchen Luft- und Raumfahrt potentiell sicherheitsrelevant. Von der Investitionskontrolle erfasst würde etwa die Übernahme eines Unternehmens, welches tragende Komponenten an internationale Raumfahrtinfrastrukturen mit Schweizer Beteiligung, beispielsweise im Rahmen des Galileo-Programms, liefert. Näher zu bestimmen sein wird die Generalklausel betreffend nicht verzichtbare und kurzfristig nicht ersetzbare Leistungen. Unter diesen Tatbestand liessen sich etwa kritische Infrastrukturen oder die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern subsumieren.

Die vom Bundesrat vorgesehene Konzeption weicht von derjenigen der deutschen Investitionskontrolle ab, wo die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit grundsätzlich sektorübergreifend geprüft wird (§§ 55-59 der deutschen Aussenwirtschaftsverordnung). Der Definition der betroffenen Branchen wird im Gesetzgebungsprozess eine entscheidende Bedeutung zukommen. Erstens wird sich daran entscheiden, ob die Investitionskontrolle einen weiteren oder engeren Anwendungsbereich haben wird. Zweitens ist eine klare Bestimmung der Branchen zentral, um bei den potentiell betroffenen Unternehmen Rechtsunsicherheit zu vermeiden.

Die branchenunabhängige Prüfung soll bei Übernahmen durch staatliche oder staatsnahe ausländische Investoren Anwendung finden. Es liegt jedoch nahe, dass die Prüfung des Vorliegens von «wesentlichen» Wettbewerbsverzerrungen in der Praxis herausfordernd wäre, sodass sich im weiteren Gesetzgebungsprozess zumindest die Definition von de minimis Regeln empfiehlt. Darüber hinaus ist das Risiko einer Politisierung des Verfahrens immanent, da bei einer Involvierung ausländischer staatlicher Akteure die Befürchtung eines Wissens- und Technologieabflusses zu einer fremden Macht im Vordergrund stehen dürfte.

(iii) Aufgreifschwellen

Der Bundesrat schlägt vor, dass ausländische Direktinvestitionen nur einer Meldepflicht unterliegen sollen, wenn damit die Erlangung der Kontrolle über ein inländisches Unternehmen verbunden ist. In Anlehnung an das Fusionskontrollrecht erlangt ein Unternehmen Kontrolle über ein bisher unabhängiges Unternehmen, wenn es «durch den Erwerb von Beteiligungsrechten oder auf andere Weise die Möglichkeit erhält, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines anderen Unternehmens auszuüben.» (Art. 4 Abs. 3 Bst. b Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen [KG] i.V.m. Art. 1 Verordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen [VKU]). Mit dem Kontrollerwerb wird die Aufgreifschwelle im internationalen Vergleich zurückhaltend angesetzt, sind im Ausland doch häufig auch Meldepflichten bei Beteiligungen von 10% oder 20% anzutreffen.

Hingegen ist offenbar keine Umsatzschwelle für die Meldepflicht vorgesehen. Anders als im Fusionskontrollrecht, wo das inländische Zielunternehmen grundsätzlich einen Umsatz in der Schweiz von 100 Millionen Franken erzielen muss, griffe bei der Investitionskontrolle die Meldepflicht unabhängig von der Grösse des Zielunternehmens. Offen gelassen hat der Bundesrat, wie der Begriff des «inländischen Unternehmens» definiert werden soll. Im Rahmen der Vernehmlassung soll eruiert werden, ob Schweizer Tochterunternehmen von ausländischen Konzernen als inländische Zielunternehmen gelten sollen oder nicht.

(iv) Prüfverfahren

Gemäss Bundesrat soll das Prüfverfahren zweistufig angelegt werden. In einer kurzen Phase I wäre zu prüfen, ob ein vertieftes Genehmigungsverfahren erforderlich ist oder nicht. Bestehen keine Bedenken, dass die Übernahme die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, kann die Übernahme vollzogen werden. In der Phase II mit längerer Frist erfolgt eine vertiefte Prüfung.

Der Bundesrat schlägt vor, das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) mit der Durchführung und Koordination der Investitionskontrolle zu betrauen. Das Verfahren sieht eine Ämterkonsultation vor. Bei Uneinigkeit zwischen den involvierten Ämtern oder bei Konsens, die Übernahme zu verbieten, erfolgt eine Eskalation an den Bundesrat. Dies bedeutet, dass einzig der Bundesrat die Kompetenz hätte, eine Nichtgenehmigung zu verfügen. Aus dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz ergibt sich, dass neben der Genehmigung und der Nichtgenehmigung auch die Möglichkeit offenstehen muss, die Genehmigung unter Bedingungen und Auflagen zu erteilen.

Das zweistufige Verfahren scheint sachgerecht und hat sich im Fusionskontrollrecht bewährt. Der Bundesrat nennt noch keine Fristen für die Phasen I und II des Investitionskontrollverfahrens. Eine Abstimmung mit der wettbewerbsrechtlichen Fristenregelung (1 Monat für Phase I und bis zu 4 Monate für Phase II) wäre zweckmässig, um Zusammenschlussvorhaben nicht über Gebühr zu verzögern.

Ein Rechtsmittel bei einer Nichtgenehmigung durch den Bundesrat ist soweit ersichtlich nicht gegeben. Damit rücken im Verfahren politische Aspekte in den Vordergrund. Das Verschliessen des Rechtswegs ist vor dem Hintergrund von Art. 6 Ziff. 1 EMRK nur schwer begründbar. Die Diskussion um eine «Lex Syngenta» oder «Lex China» zeigt die Gefahr der Politisierung der Investitionskontrolle. Die Möglichkeit einer gerichtlichen Beurteilung scheint deshalb nicht nur unter Grundrechtsaspekten, sondern auch im Hinblick auf die Verwirklichung der vorgesehenen Gesetzesziele prüfenswert.

Nächste Schritte und Bedeutung für die Praxis

Mit den Eckpunkten zur schweizerischen Investitionskontrolle zeigt der Bundesrat Augenmass. Der Bundesrat nennt eine überschaubare Anzahl an Gefährdungstatbeständen, welche Bedenken wecken können, dass eine ausländische Direktinvestition die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet oder den Wettbewerb zufolge Involvierung ausländischer Staaten verzerrt. Allerdings bringt die Vorlage für ausländische Investitionen auch erhebliche Rechtsunsicherheiten mit sich, da sie mit unbestimmten Rechtsbegriffen operiert und für viele Investitionsvorhaben eine detaillierte Einzelfallprüfung erfordern wird, um das Vorliegen einer Meldepflicht zu klären.

Die Vernehmlassungsvorlage soll im März 2022 vorgelegt werden. Nach dem Vernehmlassungsverfahren sind die Beratungen in den Eidgenössischen Räten vorgesehen, sodass mit dem Erlass der Schweizer Investitionskontrolle nicht vor 2023 zu rechnen ist. Ob die Vorlage des Bundesrates mehrheitsfähig sein wird und welche Veränderungen diese noch erfahren wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.

Sollte die Schweiz eine Investitionskontrolle einführen, müssten ausländische Investoren in Zukunft nicht nur fusionskontrollrechtliche, sondern auch investitionskontrollrechtliche Risiken berücksichtigen – und zwar nach der Vorlage des Bundesrates unabhängig von der Grösse der an der Übernahme beteiligten Unternehmen. Wie viele Übernahmen tatsächlich von der Prüfung betroffen sein werden, hängt von der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung der Aufgreifkriterien, aber auch der Definition des Begriffs einer inländischen Zielgesellschaft ab. Bei einer Einführung einer Schweizer Investitionskontrolle müssen Unternehmen mit einer Phase der Rechtsunsicherheit rechnen, zumindest bis sich eine Praxis herausgebildet hat. Es ist davon auszugehen, dass eine allfällige Investitionskontrolle auch zivil- und strafrechtliche Sanktionen enthalten wird, um Verstösse zu ahnden.

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