Neue Praxis zur Geschäftsverweigerung im Schweizer Kartellrecht

Abstract

Entscheid der WEKO in Sachen «Eishockey im Pay-TV»

Ein neuer Entscheid der schweizerischen Wettbewerbskommission reiht sich ein in eine zunehmend eingriffsfreudige Praxis der Schweizer Wettbewerbsbehörden zur Verweigerung von Geschäftsbeziehungen. Marktabgrenzungen fallen enger aus, wodurch mehr Unternehmen der Missbrauchskontrolle unterstehen. Gleichzeitig wird die Missbrauchsschwelle für Geschäftsverweigerungen gesenkt. Auch für Unternehmen, die sich selbst nicht als marktbeherrschend betrachten, lohnt es sich, diese Entwicklung im Auge zu behalten. Von anhaltender Relevanz ist das EU-Wettbewerbsrecht, dessen Kenntnis von schweizerischen Unternehmen verlangt wird.

Sportrechte im Fokus der Wettbewerbshüter

Gemäss Medienmitteilung und Presserohstoff der Wettbewerbskommission (WEKO) vom 20. Oktober 2020 wird UPC im Untersuchungsverfahren Eishockey im Pay-TV mit rund CHF 30 Millionen gebüsst, weil sie sich weigerte, Swisscom die Übertragung von Live-Eishockey zu ermöglichen.

Vier Jahre zuvor büsste die WEKO im Untersuchungsverfahren Sport im Pay-TV – in spiegelverkehrter Konstellation – Swisscom mit rund CHF 72 Millionen. Gemäss WEKO hatte sich Swisscom gegenüber Konkurrenten (darunter die UPC-Vorgängerin Cablecom) geweigert, die Übertragung von Live-Fussball und Live-Eishockey zu angemessenen Bedingungen zuzulassen. Swisscom zeigte UPC in der Folge bei der WEKO an.

Die beiden Entscheide gegen Swisscom und UPC sind nicht rechtskräftig.

Der Entscheid «Eishockey im Pay-TV» im Überblick

UPC erwarb im Sommer 2016 für fünf Saisons Exklusivrechte für die Übertragung von Schweizer Liga-Eishockey im Pay-TV (Eishockey-Inhalte). Als Programmherstellerin konnte UPC diese Inhalte den Fernsehzuschauern sowohl über die eigene TV-Plattform als auch über TV-Plattformen von Drittunternehmen zugänglich machen. Swisscom ersuchte UPC um Übertragung von Eishockey-Inhalten, damit sie den Kunden auf ihren TV-Plattformen diese Inhalte anbieten konnte. Gemäss WEKO verweigerte UPC ein Angebot bis Sommer 2020.

Die WEKO untersuchte, ob UPC eine marktbeherrschende Stellung missbrauchte. Gemäss WEKO besteht aus Sicht der Betreiber von TV-Plattformen ein eigenständiger Markt für die Bereitstellung von Schweizer Eishockeyübertragungen im Rahmen eines Liga-Wettbewerbs im Pay-TV. UPC hatte die Exklusivrechte für die Übertragung solcher Eishockey-Inhalte erworben und verfügte deshalb auf diesem Markt über eine beherrschende Stellung.

Durch die Verweigerung einer Geschäftsbeziehung gegenüber Swisscom missbrauchte UPC ihre marktbeherrschende Stellung, weil die Verfügbarkeit von Eishockey-Inhalten für TV-Plattformen nicht durch andere Inhalte austauschbar war.

Enge sachliche Marktabgrenzung

Die Marktabgrenzung fragt danach, welche Erzeugnisse mit den untersuchten Produkten und Dienstleistungen austauschbar sind und deshalb eine disziplinierende Wirkung auf deren Anbieter ausüben. Dabei ist auf die Sichtweise eines verständigen Durchschnittskonsumenten abzustellen.

Nach Ansicht der WEKO war UPC auf dem nationalen Markt für die Bereitstellung von Schweizer Eishockeyübertragungen im Rahmen eines Liga-Wettbewerbs im Pay-TV marktbeherrschend. Damit grenzte die WEKO den Markt eng ab, wie sie das bereits im Entscheid Sport im Pay-TV getan hatte. Dort gelangte die WEKO zum Schluss, dass Eishockey-Inhalte weder mit Spielfilmen oder TV-Serien noch mit anderen Sportinhalten, einschliesslich ausländischer Eishockey-Inhalte, austauschbar seien. Zum Vergleich: In der EU werden im Bereich der Lizenzierung von TV-Programminhalten regelmässig die Kategorien Film, Sport und andere Inhalte auseinandergehalten. Subkategorien werden zwar diskutiert, im Bereich des Sports jedoch nur im Zusammenhang mit Fussballübertragungsrechten, unter Hinweis auf die einzigartige Stellung, die der Fussball als beliebteste Sportart in Europa geniesst.[1]

Es bleibe dahingestellt, ob die Marktabgrenzung dem Verständnis des Durchschnittskonsumenten folgt – oder demjenigen einer kleineren Gruppe eingefleischter Eishockey-Fans. Klar ist, dass eine enge Marktabgrenzung eher zu marktbeherrschenden Stellungen führt und damit mehr Unternehmen den strengen Regeln des kartellrechtlichen Missbrauchsrechts unterstehen. In einer mit dieser Sache zusammenhängenden Beratung hielt das Sekretariat der WEKO fest: «Infolge Marktbeherrschung ist die Wirtschafts- bzw. Vertragsfreiheit von UPC […] eingeschränkt. Marktbeherrschende Unternehmen dürfen insbesondere, vorbehältlich eines Rechtfertigungsgrundes, Geschäftsbeziehungen nicht verweigern […] und Handelspartner nicht diskriminieren.»[2]

Senkung der Missbrauchsvoraussetzungen

Eine missbräuchliche Verweigerung von Geschäftsbeziehungen setzt gemäss Bundesgericht und europäischer Gerichtspraxis voraus, dass die nachgefragte Ressource (vorliegend die Eishockey-Inhalte) für den Nachfrager objektiv notwendig, d.h. unerlässlich, ist.[3] Die WEKO orientiert sich in ständiger Praxis an diesem Kriterium, indem sie fordert, dass der Input objektiv notwendig sein muss, um auf einem nachgelagerten oder benachbarten Markt wirksam konkurrieren zu können.[4]

Die jüngere schweizerische Praxis hat die Voraussetzungen eines Verstosses gesenkt – und damit die Anforderungen an (möglicherweise) marktbeherrschende Unternehmen erhöht. So ist gemäss Bundesverwaltungsgericht im Urteil DCC (2018) die Unerlässlichkeit des nachgefragten Inputs nur bei bestimmten Arten der Geschäftsverweigerung erforderlich.[5] Eine Geschäftsverweigerung kann in gewissen Konstellationen auch dann missbräuchlich sein, wenn der Input nicht unerlässlich ist. Für diese Praxisverschärfung konnte sich das Gericht weder auf schweizerische noch europäische höchstrichterliche Praxis abstützen, die durchgehend eine Unerlässlichkeit verlangen. Noch ist offen, ob sich die DCC-Rechtsprechung vor Bundesgericht durchsetzen wird.

Die neuere Praxis der WEKO zeigt eine erhöhte Bereitschaft, eine missbräuchliche Geschäftsverweigerung anzunehmen. So hält die WEKO im Entscheid Eishockey im Pay-TV fest, dass der fehlende Zugang zu Eishockey-Inhalten für Swisscom einen «Nachteil» darstelle, den sie nicht selber wettmachen könne. Sollte eine Verweigerung von Geschäftsbeziehungen bereits unzulässig sein, wenn sie für den Nachfrager einen «Nachteil» darstellt, würde dies die Eingriffsschwelle bedeutend senken. Zweifelsfrei war es für Swisscom nachteilig, keine Eishockey-Inhalte anbieten zu können. Dass diese Inhalte für Swisscom auch unerlässlich waren, um wirksam konkurrieren zu können, ist hingegen fraglich und wird von der WEKO nicht nachgewiesen.

Bussenrisiken

Die Missbrauchsanalyse beruht auf einer engen Marktabgrenzung. Unternehmen können sich aber nicht darauf verlassen, dass sich auch die Busse anhand der (tieferen) Umsätze in diesem engen Markt berechnet. Vielmehr hat die WEKO im Verfahren Eishockey im Pay-TV die Busse für UPC anhand der (höheren) Umsätze von UPC im nachgelagerten TV-Plattformmarkt berechnet, d.h. einem Markt, in dem UPC nicht marktbeherrschend war und ihr auch kein missbräuchliches Verhalten vorgeworfen wurde.

Kartellrechtsverstösse können sanktioniert werden, wenn die Unzulässigkeit des Verhaltens vorhersehbar war. Das Bundesgericht hat im Urteil Swisscom ADSL (2019) im Zusammenhang mit Kosten-Preis-Scheren festgehalten, dass für diese Vorhersehbarkeit auch eine Unzulässigkeit nach europäischem Kartellrecht relevant sei.[6] Auch die neuere Praxis des Bundesverwaltungsgerichts zu Geschäftsverweigerungen ist stark durch das europäische Kartellrecht geprägt. Letzteres ist deshalb bei Abklärungen zum Schweizer Missbrauchsrecht stets zu berücksichtigen.

Folgerungen für Unternehmen

Die jüngste Praxis zu Geschäftsverweigerungen im Schweizer Kartellrecht ist für Unternehmen in mehrfacher Hinsicht relevant:

  • Enge Marktabgrenzung: Produkte- und Dienstleistungsmärkte werden zunehmend eng abgegrenzt. Unternehmen, die ein bestimmtes (Nischen-)Produkt herstellen, können wider Erwarten als marktbeherrschend betrachtet werden. Ist dies der Fall, gelten für sie strengere Verhaltensregeln, insbesondere auch in Bezug auf die Wahl ihrer Geschäftspartner.
  • Strenge Geschäftsverweigerungspraxis: Geschäftsverweigerungen durch marktbeherrschende Unternehmen können auch dann als missbräuchlich qualifiziert werden, wenn das nachgefragte Gut nicht unerlässlich ist. Es kann schon ausreichen, dass die Verweigerung für den Nachfrager nachteilig ist. Möglicherweise marktbeherrschende Unternehmen sollten entsprechende Risiken vor der Auswahl ihrer Vertragspartner prüfen.
  • Relevanz des EU-Wettbewerbsrechts: Bei rechtlichen Abklärungen zum Schweizer Missbrauchsrecht sind Entwicklungen im europäischen Wettbewerbsrecht stets zu berücksichtigen. Die Schweizer Wettbewerbsbehörden orientieren sich regelmässig daran und setzen dessen Kenntnis voraus.

[1] EU-Kommission, M.4519, 18.01.2007, Lagardère/Sportfive, Rz. 9 f. («football’s pre-eminence as the singularly most popular sport across most Member States and beyond»); EU-Kommission, M. 6369, 21.12.2011, HBO/Ziggo/HBO Nederland, Rz. 18, 20; EU-Kommission, M.7194, 24.02.2015, Liberty Global/Corelio/W&W/De Vijver Media, Rz. 52; EU-Kommission, M.9064, 12.11.2019, Telia Company/Bonnier Broadcasting Holding, Rz. 117.

[2] WEKO Sekretariat, RPW 2017/2, 275 f., Beratung Eishockey im Pay-TV, Rz. 13.

[3] BGE 139 II 319, Etivaz, E. 7; BGE 129 II 497, EEF, E. 6.5.1; EuGH, C‑170/13, 16.07.2015, Huawei/ZTE, Rz. 49; EuGH, 29.04.2004, C-418/01, IMS Health, Rs. 38; EuGH, C-7/97, 26.11.1998, Bronner, Rz. 41; EuGH, C-241/91 und C-241/91, 06.04.1995, Magill, Rz. 53; EuGH, 6 und 7/73, 06.03.1974, Commercial Solvents, Rz. 25; EuG, T-851/14, 13.12.2018, Slovak Telekom, Rz. 98 f.; EuG, T-301/04, 09.09.2009, Clearstream, Rz. 147; EuG, T-201/04, 17.09.2007, Microsoft, Rz. 332.

[4] WEKO, RPW 2011/1, 96 ff., DCC, Rz. 308; WEKO, 32-0243, Sport im Pay-TV, Rz. 615; WEKO, RPW 2017/3, 410 ff., Eishockey im Pay-TV (vorsorgliche Massnahmen), Rz. 50.

[5] BVGer, Urteil B-831/2011 vom 18.12.2018, DCC, Rz. 976 ff.

[6] BGer, Urteil 2C_985/2015 vom 09.12.2019, Swisscom ADSL, E. 8.3.4.

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