Revision der Schweizerischen Zivilprozessordnung

Abstract

Neuer Gesetzestext steht fest

Am 26. Februar 2020 verabschiedete der Bundesrat den Entwurf und die Botschaft zur Änderung der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO).

Am 17. März 2023 hat das Schweizer Parlament die Revision der ZPO in der Schlussabstimmung angenommen.

Dieses Bulletin hebt die wichtigsten Punkte der Revision, wie sie von den Räten verabschiedet worden ist, hervor.

1. Überblick

Die Revision der ZPO steht im Sinne der Verbesserung der Praxistauglichkeit und der Rechtsdurchsetzung: Sie schafft insbesondere die Grundlage für eine internationale Handelsgerichtsbarkeit und die Möglichkeit, andere Landessprachen und Englisch als Verfahrenssprachen zuzulassen. Sodann wird ein Mitwirkungsverweigerungsrecht für Tätigkeiten eines unternehmensinternen Rechtsdienstes eingeführt. Verhandlungen können gemäss der revidierten ZPO neu mittels elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung durchgeführt werden. Schliesslich werden Kostenschranken abgebaut, das Schlichtungsverfahren ausgebaut und die Verfahrenskoordination erleichtert. Der in der Vernehmlassung stark umstrittene kollektive Rechtsschutz bildet nicht Teil der Vorlage, sondern wird separat behandelt.

Die Publikation der revidierten ZPO gemäss Schlussabstimmung im Parlament/der Referendumsvorlage im Bundesblatt wird erwartet; zurzeit ist einzig der Schlussabstimmungstext abrufbar.

Die revidierte ZPO tritt in Kraft, wenn dagegen kein Referendum ergriffen wird. Derzeit ist mit einem Inkrafttreten am 1. Januar 2025 zu rechnen.

2. Schaffung der Möglichkeit einer internationalen Handelsgerichtsbarkeit und Zulassung von Englisch und anderen Landessprachen als Verfahrenssprachen

Gemäss der revidierten ZPO werden die Kantone internationale Handelsgerichte bzw. spezialisierte Gerichte oder Gerichtskammern für internationale Handelsstreitigkeiten schaffen können. Insbesondere die Kantone Zürich und Genf haben Interesse an einer solchen Regelung bekundet.

So werden die Kantone neu vorsehen können, dass Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort oder ihren Sitz im Ausland hat, bei Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens CHF 100’000, welche die geschäftliche Tätigkeit betreffen, die Zuständigkeit des Handelsgerichts vereinbaren können (Art. 6 Abs. 4 lit. c E-ZPO).

Die Kantone werden sodann künftig vorsehen können, dass auf Antrag sämtlicher Parteien eine andere Landessprache oder – in den internationalen handelsrechtlichen Streitigkeiten – Englisch im Verfahren benutzt werden kann (Art. 129 Abs. 2 E-ZPO). Wenn das Verfahren vor der Vorinstanz in englischer Sprache geführt wird, werden Rechtsschriften auch vor dem Bundesgericht in Englisch abgefasst werden können (Art. 42 Abs. 1bis E-BGG).

Die Möglichkeit der Benutzung anderer Landessprachen bzw. von Englisch als Verfahrenssprache war im Parlament umstritten. Im Vergleich zum bundesrätlichen Entwurf wurde die Vorlage enger gefasst. Nach dem Schlussabstimmungstext kann eine Partei nicht auf die Amtssprache(n) des zuständigen Kantons als Verfahrenssprache im Voraus verzichten (Art. 129 Abs. 2 lit. a E-ZPO). Englisch kann sodann nur in den erwähnten internationalen handelsrechtlichen Streitigkeiten nach Art. 6 Abs. 4 lit. c E-ZPO als Verfahrenssprache vorgesehen werden (Art. 129 Abs. 2 lit. b E-ZPO).

3. Mitwirkungsverweigerungsrecht für Tätigkeiten eines unternehmensinternen Rechtsdienstes

Neu wird ein zivilprozessrechtliches Mitwirkungsverweigerungsrecht für Tätigkeiten eines unternehmensinternen Rechtsdienstes eingeführt (Art. 167a E-ZPO).

Die Berufung auf das Mitwirkungsverweigerungsrecht setzt voraus, dass die betroffene Partei als Rechtseinheit im schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen ist, ihr Rechtsdienst von einer Person mit kantonalem Anwaltspatent oder von einer Person, die in ihrem Herkunftsstaat die fachlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufs erfüllt, geleitet wird, und dass die betreffende Tätigkeit bei einer Anwältin oder einem Anwalt als berufsspezifisch gelten würde.

Dabei geht es im Kern um die Beseitigung prozessualer Nachteile schweizerischer Unternehmen gegenüber Unternehmen aus anderen Staaten, die ein solches Privileg kennen. In der Vernehmlassung sprach sich eine Mehrheit – insbesondere aus der Wirtschaft – für diese Änderung aus. Das Parlament unterstützt nun das Anliegen mit seiner Zustimmung.

4. Verhandlungen mittels elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung

Die Räte haben in Ergänzung des Entwurfs des Bundesrats Bestimmungen zum Einsatz elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung eingeführt. Danach steht es den Gerichten künftig grundsätzlich offen, mit dem Einverständnis der Parteien Verhandlungen mittels Videokonferenz und anderen elektronischen Mitteln zur Ton- und Bildübertragung durchzuführen (Art. 141a E-ZPO). Dies wird auch für die Einvernahme von Zeugen, Parteibefragungen, Beweisaussagen und die Erstattung von Gutachten gelten (Art. 170a, Art. 187 Abs. 1 und Art. 193 E-ZPO). Vorausgesetzt wird neben dem Einverständnis der Parteien, dass eine solche Übertragung für alle Prozessbeteiligten zeitgleich erfolgt, wie auch, dass Datenschutz und Datensicherheit gewährleistet sind. Bei Zeugeneinvernahmen, Parteibefragungen, Beweisaussagen und persönlichen Anhörungen werden hierfür Aufzeichnungen zu erstellen sein (Art. 141b Abs. 1 E-ZPO).

5. Abbau von Kostenschranken

Diverse Neuregelungen zu Kostenvorschüssen und zur Liquidation der Prozesskosten erleichtern den Zugang zu den Gerichten:

Künftig kann ein Gericht von der klagenden Partei grundsätzlich nur noch maximal die Hälfte der mutmasslichen Kosten statt der gesamten Kosten verlangen (Art. 98 E-ZPO). Da die Mehrheit der Kantone in der Vernehmlassung eine ablehnende Haltung gegen diese Änderung eingenommen hatte, nahm der Bundesrat in Art. 98 Abs. 2 E-ZPO einen Ausnahmekatalog auf. Diesen hat das Parlament unverändert übernommen. Danach darf bei Streitigkeiten der internationalen Handelsgerichtsbarkeit, bei direkten Klagen beim oberen Gericht, in Schlichtungsverfahren, in bestimmten summarischen Verfahren und in Rechtsmittelverfahren weiterhin ein Vorschuss bis zur Höhe der gesamten mutmasslichen Gerichtskosten verlangt werden.

Die Gerichtskosten werden weiterhin mit den geleisteten Vorschüssen der kostenpflichtigen Partei verrechnet. Neu ist jedoch, dass ein von der nicht kostenpflichtigen Partei geleisteter Vorschuss zurückbezahlt wird. Ein Fehlbetrag wird neu bei der kostenpflichtigen Partei nachgefordert (Art. 111 E-ZPO). Damit tragen nicht mehr die Parteien das Inkassorisiko der Gegenpartei, sondern der Staat.

Ausserdem wird die unentgeltliche Rechtspflege neu auch in Verfahren betreffend vorsorgliche Beweisführung gewährt (Art. 118 Abs. 2 E-ZPO). Damit wird die anderslautende Rechtsprechung des Bundesgerichts aufgehoben.

6. Weitere Revisionspunkte

  • Ausbau des Schlichtungsverfahrens: Das Schlichtungsverfahren wird punktuell ausgebaut, indem die Kompetenz der Schlichtungsbehörde erweitert wird. So wird die Schlichtungsbehörde den Parteien grundsätzlich in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 10’000 einen Urteilsvorschlag (neu: Entscheidvorschlag) unterbreiten können (Art. 210 Abs. 1 lit. c E-ZPO). Ausserdem wird bei gewissen Streitigkeiten vor einzigen kantonalen Instanzen, darunter Handelsgerichten, ein freiwilliges Schlichtungsverfahren eingeführt (Art. 198 lit. f und Art. 199 Abs. 3 E-ZPO). Damit wird es künftig möglich sein, auch in diesen Fällen mittels Schlichtungsgesuch Verjährungsfristen zu unterbrechen.
  • Erleichterte Verfahrenskoordination: Wie nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung bisher, wird auch künftig eine Partei mehrere Ansprüche in derselben Klage häufen können, wenn für diese Ansprüche zwar eine unterschiedliche sachliche Zuständigkeit oder Verfahrensart vorgesehen ist, diese aber nur auf dem Streitwert beruht. Im Falle unterschiedlicher Verfahrensarten werden die Ansprüche zusammen im ordentlichen Verfahren zu behandeln sein (Art. 90 Abs. 2 E-ZPO). Auch die Widerklage wird verfahrensüberschreitend im ordentlichen Verfahren zu beurteilen sein; einerseits wird dies im Falle einer Widerklage gelten, die bloss aufgrund des Streitwerts im vereinfachten Verfahren zu behandeln wäre, andererseits im Falle einer negativen Feststellungsklage in Reaktion auf eine Teilklage, was auch bisher schon der Fall ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung (Art. 224 Abs. 1bis E-ZPO).
  • Konkretisierung der Novenschranke: Der Bundesrat liess die Bestimmung zum Novenrecht in seinem Entwurf unangetastet. Das Parlament hat nun in Art. 229 E-ZPO eine Änderung eingeführt. Danach können, wenn weder ein zweiter Schriftenwechsel noch eine Instruktionsverhandlung stattgefunden hat, neue Tatsachen und Beweismittel in der Hauptverhandlung im ersten Parteivortrag unbeschränkt vorgebracht werden (Art. 229 Abs. 1 E-ZPO). In den anderen Fällen können einzig echte und unechte Noven vorgebracht werden, und zwar spätestens bis zum ersten Parteivortrag in der Hauptverhandlung (Art. 229 Abs. 2 E-ZPO).
  • Privatgutachten als Beweismittel: Privatgutachten gelten zukünftig nicht mehr als blosse Parteibehauptungen, sondern werden wie Urkunden behandelt (Art. 177 E-ZPO). Inhaltlich werden sie allerdings der freien Beweiswürdigung unterliegen.
  • Vorsorgliche Massnahmen gegen Medien: Aufgrund des Beschlusses von Ständerat und der Befürwortung durch den Nationalrat erfährt neu auch das Medienprivileg im Zusammenhang mit der Anordnung von vorsorglichen Massnahmen eine Einschränkung. So fehlt in der revidierten ZPO der Zusatz «besonders» beim vorausgesetzten «schweren Nachteil», damit vorsorgliche Massnahmen gegen Medien angeordnet werden können (Art. 266 lit. a E-ZPO).

7. Fazit

Die verabschiedete Revision zur Änderung der ZPO verbessert die Praxistauglichkeit und die Rechtsdurchsetzung: Insbesondere die Schaffung einer Grundlage für eine internationale Handelsgerichtsbarkeit und die Zulassung von Englisch und anderen Landessprachen als Verfahrenssprachen werden den Standort Schweiz in Bezug auf die Gerichtsbarkeit in internationalen Verhältnissen stärken. Der Einbezug elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung in Verhandlungen, der Abbau von Kostenschranken und der Ausbau von Schlichtungsverfahren (mit der erleichterten Verjährungsunterbrechung unter anderem vor den Handelsgerichten) wird den Zugang zu den Gerichten erleichtern. In diesem Zusammenhang kann erwähnt werden, dass Gerichte künftig Eingaben, für welche sie nicht zuständig sind, gar von Amtes wegen an das zuständige Schweizer Gericht weiterleiten werden müssen (Art. 143 Abs. 1bis E-ZPO). Das Mitwirkungsverweigerungsrecht der Unternehmensjuristen wird bisherige prozessuale Nachteile von Schweizer Unternehmen gegenüber ausländischen Unternehmen beseitigen.

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