Neuerungen im Vertrieb von Lebensprodukten und in der Vermittleraufsicht
Abstract
Am 2. Juni 2023 hat der Bundesrat die Änderung der Versicherungsaufsichtsverordnung verabschiedet. Mit der Änderung der Aufsichtsverordnung, die mit dem revidierten Versicherungsaufsichtsgesetz am 1. Januar 2024 in Kraft tritt, setzt der Bundesrat unter anderem die Vorgaben des Gesetzgebers zu den Informationspflichten und Verhaltensregeln bei Erbringung von Versicherungsdienstleistungen sowie zur Modernisierung der Versicherungsvermittlung um. Weitere Themenbereiche dieser Teilrevision – wie z.B. Kleinversicherungsregime, Kriterien für versicherungsnahe bzw. -fremde Geschäfte, risikoabsorbierende Kapitalinstrumente und Versicherungszweckgesellschaften – wurden in einem separaten Bulletin vom 7. Juni 2023 behandelt.
Mit Verabschiedung der Änderungen der Versicherungsaufsichtsverordnung setzt der Bundesrat die neuen Aufsichtsregeln per 1. Januar 2024 in Kraft
Am 2. Juni 2023 hat der Bundesrat die Änderung der Verordnung über die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen (Aufsichtsverordnung; AVO) verabschiedet. Zur Stärkung des Kundenschutzes konkretisiert der Bundesrat unter anderem die Informationspflichten und Verhaltensregeln bei Erbringung von Versicherungsdienstleistungen sowie die Vermittleraufsicht. Die Teilrevision des Bundesgesetzes betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz; VAG), die das Parlament am 18. März 2022 genehmigt hat, setzt den Entscheid des Parlamentes im Rahmen der Gesetzgebungsarbeiten zum Finanzdienstleistungsgesetz vom 15. Juni 2018 (FIDLEG) um, wonach die Verhaltenspflichten des FIDLEG auf die Erbringung von Versicherungsdienstleistungen ins VAG aufgenommen werden sollen.
Mit Verabschiedung der Änderungen der Aufsichtsverordnung setzt der Bundesrat die neuen Aufsichtserlasse per 1. Januar 2024 in Kraft.
Die Pressemitteilung des Bundesrats, die revidierte Aufsichtsverordnung und den Erläuterungsbericht finden Sie unter diesem Link.
Unser Bulletin zu weiteren Themenbereichen der Teilrevision (namentlich Kleinversicherungsregime, Kriterien für versicherungsnahe bzw. -fremde Geschäfte, risikoabsorbierende Kapitalinstrumente und Versicherungszweckgesellschaften) finden Sie unter diesem Link.
I. Übersicht
Die revidierte Aufsichtsverordnung führt produktspezifische Informationspflichten und Verhaltensregeln im Zusammenhang mit qualifizierten und nicht-qualifizierten Lebensversicherungsprodukten ein (Art. 129a ff. nAVO). Zudem konkretisiert sie die neue Vermittleraufsicht (Art. 182 ff. nAVO).
Im vorliegenden Bulletin behandeln wir diese beiden Themenbereiche.
II. Informationspflichten und Verhaltensregeln
Für den Vertrieb von bestimmten Versicherungsprodukten mit Anlagecharakter (die qualifizierten Lebensversicherungen) konkretisiert die AVO neu Verhaltensregeln und Informationspflichten der Versicherungsunternehmen sowie Versicherungsvermittlerinnen. Dies erfolgt in Anlehnung an die Vorschriften für Finanzdienstleister im FIDLEG und soll insbesondere sicherstellen, dass die Versicherungsnehmerinnen beim Abschluss ihrer Versicherungsprodukte über ausreichende Informationen verfügen.
Im Vordergrund der neuen Vorschriften steht die Pflicht für jede qualifizierte Lebensversicherung ein Basisinformationsblatt (BIB) zu erstellen. Das BIB soll den Versicherungsnehmerinnen die wesentlichen Angaben zum Lebensversicherungsprodukt vermitteln und dadurch einen Vergleich mit gleichartigen Versicherungen ermöglichen.
Gemäss Art. 39c Abs. 2 nVAG soll im BIB insbesondere über die Art und Merkmale, das Risiko- und Renditeprofil sowie die Kosten der qualifizierten Lebensversicherung informiert werden. Anhang 4 der nAVO konkretisiert die inhaltlichen Anforderungen an das BIB weiter und enthält eine Liste mit konkreten Angaben, welche das BIB beinhalten muss. Dabei bleiben jedoch allfällige spezialrechtliche produktspezifische Anforderungen vorbehalten (Art. 129e Abs. 2 nAVO). Falls das Lebensversicherungsprodukt beispielsweise ein Finanzinstrument i.S.d. FIDLEG umfasst, muss das BIB deshalb auch die wesentlichen Angaben zu diesem Finanzinstrument enthalten oder auf ein dafür erstelltes, separates BIB verweisen (Art. 39c Abs. 3 nVAG).
Neben diesen inhaltlichen Anforderungen enthält die neue Aufsichtsverordnung auch spezifische Vorgaben zur formellen Ausgestaltung und Bereitstellung des BIB. Insbesondere schreibt sie vor, dass das BIB den Versicherungsnehmerinnen zu einem Zeitpunkt zur Verfügung gestellt werden muss, in dem ihnen genügend Zeit bleibt, um die darin enthaltenen Informationen vor dem Vertragsabschluss zu verstehen (Art. 129d Abs. 3 nAVO). Zentral ist zudem, dass das BIB in einer Art und Weise bereitgestellt werden muss, die eine Beweissicherung ermöglicht. Es soll deshalb während der ganzen Angebotsdauer und auf einem dauerhaften Datenträger oder auf einer Website zur Verfügung gestellt werden (Art. 129d Abs. 1 und 2 nAVO). Damit das BIB für die Versicherungsnehmerin lesbar und verständlich ist, muss es zudem in einer Schweizer Amtssprache, in Englisch oder in der Korrespondenzsprache der Versicherungsnehmerinnen verfasst werden (Art. 129f nAVO).
Anstatt ein neues BIB für eine qualifizierte Lebensversicherung zu erstellen, kann ein Versicherungsunternehmen gemäss Art. 39b Abs. 2 nVAG auch ein gleichwertiges Dokument nach ausländischem Recht verwenden. Die ausländischen Dokumente, welche dieses Gleichwertigkeitserfordernis erfüllen, sollen inskünftig in Anhang 5 nAVO aufgeführt werden. In der aktuellen Fassung der neuen Aufsichtsverordnung sind jedoch noch keine solchen Alternativen vorgesehen.
Zusätzlich zur Erstellung und Bereitstellung eines BIB ist das Versicherungsunternehmen gehalten, das BIB während der gesamten Angebotsdauer regelmässig und mindestens einmal pro Jahr zu überprüfen und bei wesentlichen Änderungen anzupassen (Art. 39e Abs. 1 nVAG; Art. 129k nAVO). Gleich wie bei der Erstellung des BIB kann das Versicherungsunternehmen dabei einen qualifizierten Dritten beiziehen. Vorausgesetzt wird in diesem Fall, dass der Dritte zur fachgerechten Erstellung bzw. Überprüfung des BIB in der Lage ist (Art. 129g Abs. 1 nAVO).
Die Pflicht, ein BIB zur Verfügung zu stellen, tritt zu den allgemeinen vorvertraglichen Informationspflichten beim Vertrieb von Versicherungen hinzu. Diese sind insbesondere in Art. 3 VVG und Art. 45 nVAG enthalten und werden für qualifizierte Lebensversicherungen neu in Art. 129b-129c nAVO präzisiert. Demnach müssen die Versicherungsunternehmen vor Vertragsabschluss die Versicherungsnehmerinnen über die offerierten Produktvarianten und die jeweiligen produktspezifischen Merkmale informieren. Dabei müssen sie den Versicherungsnehmerinnen insbesondere individualisierte Beispielrechnungen mit drei möglichen Renditeszenarien («günstig», «mittel», «ungünstig») zur Verfügung stellen (Art. 129b Abs. 2 nAVO).
Zudem haben Versicherungsunternehmen bei der Empfehlung von qualifizierten Lebensversicherungen offenzulegen, wenn ihnen im Zusammenhang mit dem betroffenen Versicherungsprodukt Entschädigungen Dritter zufliessen (Art. 39h Abs. 2 nVAG). Als Beispiel für solche Entschädigungen können etwa Vertriebsentschädigungen oder Bestandespflegekommissionen eines Fondsanbieters genannt werden, welche dem Versicherungsunternehmen bei einer fondsgebundenen Lebensversicherung zukommen. Die neue Aufsichtsverordnung konkretisiert diese Regelung für Entschädigungen, die ein Versicherungsunternehmen im Zusammenhang mit qualifizierten Lebensversicherungen von Dritten entgegennimmt und die von ihrer Natur her den Versicherungsnehmerinnen nicht weitergegeben werden können – wie beispielsweise kostenlose Finanz- oder Marktanalysen –, und verlangt für solche nicht monetären Entschädigungen eine Offenlegung als Interessenkonflikt (Art. 129c Abs. 1 nAVO).
C. Angemessenheitsprüfung bei der Beratung zu qualifizierten Lebensversicherungen
Gemäss Art. 39j Abs. 1 nVAG sollen sich Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittlerinnen inskünftig vor der Empfehlung einer qualifizierten Lebensversicherung über die Kenntnisse und Erfahrungen der Versicherungsnehmerin erkundigen und prüfen, ob die betreffende Lebensversicherung für diese angemessen ist. Kommt das Versicherungsunternehmen oder die Versicherungsvermittlerin bei dieser Prüfung zum Schluss, dass die qualifizierte Lebensversicherung nicht angemessen ist, rät sie oder er von einem Vertragsschluss ab (Art. 39j Abs. 2 nVAG).
Anders als das FIDLEG sieht das neue Versicherungsaufsichtsgesetz damit nur eine Angemessenheits- und keine Eignungsprüfung vor. Der Verordnungsgeber hat diese Lücke erkannt und verlangt in Art. 129m Abs. 1 nAVO, dass Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittlerinnen bei der Angemessenheitsprüfung folgende Punkte zusätzlich prüfen:
- ob die qualifizierte Lebensversicherung für die Versicherungsnehmerin finanziell tragbar ist;
- ob das Risikoprofil der qualifizierten Lebensversicherung der Risikofähigkeit der Versicherungsnehmerin entspricht; und
- ob die Laufzeit der qualifizierten Lebensversicherung mit der Lebenssituation und den Anlagezielen der Versicherungsnehmerin vereinbar ist.
Der Verordnungsgeber hat damit über die Konkretisierung der Angemessenheitsprüfung in Art. 129m nAVO faktisch eine Eignungsprüfung eingeführt. Begründet wird dies mit der Absicht des Gesetzgebers, ein Level Playing Field mit den Finanzdienstleistern gemäss FIDLEG zu schaffen. Ob dies als Grundlage für eine Eignungsprüfung genügen wird, wird die Rechtsprechung zeigen müssen. Insbesondere wenn das Versicherungsunternehmen oder die Versicherungsvermittlerin die Versicherungsnehmerin nur zu einer spezifischen qualifizierten Lebensversicherung berät, ohne ihr sonstiges Versicherungs- oder Anlageportfolio zu berücksichtigen, erscheint eine solche rechtliche Grundlage fraglich. Denn im FIDLEG ist eine Eignungsprüfung bei der Anlageberatung nur dann vorgesehen, wenn der Anlageberater das Kundenportfolio des Kunden berücksichtigt.
Jedenfalls keine Anwendung finden die Prüfpflichten gemäss Art. 129m Abs. 1 nAVO, wenn der Abschluss der qualifizierten Lebensversicherung auf Veranlassung der Versicherungsnehmerin und ohne Beratung des Versicherungsunternehmens bzw. der Versicherungsvermittlerin erfolgen. Anders als das FIDLEG (vgl. Art. 13 Abs. 2 FIDLEG) sieht das neue Versicherungsaufsichtsgesetz für diesen Fall auch keine Pflicht vor, den Kunden zu informieren, dass keine Angemessenheitsprüfung durchgeführt wird.
Sofern sich die Versicherungsnehmerin beim Abschluss der Lebensversicherung von einer Person vertreten lässt, soll für die Zwecke der Angemessenheitsprüfung gemäss Art. 129m Abs. 2 nAVO auf die Kenntnisse und Erfahrungen dieser Person abgestellt werden. Keine solche Zurechnung erfolgt dagegen in Bezug auf die finanziellen Verhältnisse, die Risikofähigkeit, die Lebenssituation oder die Anlageziele der Versicherten.
D. Dokumentations- und Rechenschaftspflicht
In Anlehnung an die Vorschriften des FIDLEG sieht das Versicherungsaufsichtsgesetz in Zukunft auch bestimmte Dokumentations- und Rechenschaftspflichten im Zusammenhang mit qualifizierten Lebensversicherungen vor. Konkret müssen Versicherungsunternehmen sowie Versicherungsvermittlerinnen dokumentieren, (a) welche qualifizierten Lebensversicherungen abgeschlossen wurden, (b) welche Kenntnisse und Erfahrungen der Versicherungsnehmerinnen erhoben wurden, (c) dass ggf. keine Angemessenheitsprüfung durchgeführt wurde oder (d) dass der Versicherungsnehmerin ggf. vom Abschluss einer qualifizierten Lebensversicherung abgeraten wurde (Art. 39k Abs. 1 nVAG).
Versicherungsunternehmen sowie Versicherungsvermittlerinnen müssen den Versicherungsnehmerinnen auf Anfrage eine Kopie der so erstellten Kundendokumentation zugänglich machen (Art. 39k Abs. 2 nVAG). Gemäss Art. 129n nAVO müssen sie die Erstellung der Kundendokumentation dabei so ausgestalten, dass diese innerhalb von zehn Arbeitstagen bereitgestellt werden kann.
Zusätzlich zur Herausgabe der Kundendokumentation müssen Versicherungsunternehmen und Versicherungsvermittlerinnen den Versicherten auf Anfrage oder zu den vereinbarten Zeitpunkten Rechenschaft ablegen über die Bewertung und Entwicklung der von qualifizierten Lebensversicherungen umfassten Finanzinstrumente sowie über die mit diesen allenfalls verbundenen Kosten (Art. 39k Abs. 3 nVAG; Art. 129o nAVO). Die Rechenschaftsablage kann dabei auch standardisiert erfolgen, indem die entsprechenden Angaben den Versicherungsnehmerinnen beispielsweise online zur Verfügung gestellt werden. Vorausgesetzt ist in diesem Fall jedoch, dass technisch die Speicherung der entsprechenden Daten auf einem dauerhaften Datenträger gewährleistet ist. Denn nur so können die entsprechenden Daten zu Beweisführungszwecken verwendet werden.
E. Werbung für qualifizierte Lebensversicherungen
Das revidierte Versicherungsaufsichtsgesetz sieht schliesslich konkrete Vorschriften für die Werbung für qualifizierte Lebensversicherungen vor. So muss die Werbung (a) klar als solche erkennbar sein, (b) einen Hinweis auf das BIB der entsprechenden qualifizierten Lebensversicherung und dessen Bezugsstelle beinhalten sowie (c) mit den Angaben im BIB übereinstimmen (Art. 39i nVAG). Damit soll im Wesentlichen die Regelung für die Werbung von Finanzinstrumenten (Art. 68 FIDLEG) in das Versicherungsaufsichtsgesetz übernommen werden.
Ebenfalls analog zur Regelung für Finanzinstrumente (vgl. Art. 95 FIDLEV) wird der Begriff der «Werbung» in Art. 129p Abs. 1 nAVO näher definiert. Demnach ist darunter sämtliche an die Versicherungsnehmerinnen gerichtete Kommunikation zu verstehen, die darauf gerichtet ist, auf bestimmte qualifizierte Lebensversicherungen aufmerksam zu machen. Allgemeine Marketingunterlagen zu einem Versicherungsunternehmen ohne Bezug zu einem spezifischen Lebensversicherungsprodukt müssen daher den Anforderungen nach Art. 39j nVAG nicht genügen. Ebenfalls vom Werbebegriff ausgenommen sind Kommunikationen, die nicht unter Verwendung von Werbemitteln erfolgen. Entsprechend sollen gemäss Art. 129p Abs. 2 nAVO etwa Preis- bzw. Kurslisten, gesetzlich vorgeschriebene Meldungen zu Emittenten oder Research-Analysen in der Fachpresse nicht als Werbung gelten.
III. Modernisierung der Vermittleraufsicht
Eines der zentralen Anliegen der VAG-Revision waren die Stärkung des Kundenschutzes im Bereich der Versicherungsvermittlung vor dem Hintergrund der Einführung des Finanzdienstleistungsgesetzes (FIDLEG) sowie die Regelung der Vermittleraufsicht. Diese Revision bringt eine Verschärfung der Vermittleraufsicht, insbesondere für die ungebundenen Versicherungsvermittler (Versicherungsbroker). Die verschärfte Vermittleraufsicht wird in der AVO konkretisiert.
A. Definition ungebundener Versicherungsvermittlerinnen
Ungebundene Versicherungsvermittlerinnen müssen sich ins Vermittlerregister eintragen lassen. Die Registrierungspflicht trifft natürliche und juristische Personen, die als ungebundene Versicherungsvermittlerinnen tätig sind.
Versicherungsvermittlerinnen sind – wie unter bisherigem Recht – Personen, die unabhängig von ihrer Bezeichnung Versicherungsverträge anbieten oder abschliessen (Art. 40 Abs. 1 nVAG). Dies setzt voraus, dass ein direkter Kundenkontakt unter Anwesenden (vgl. Art. 182a Abs. 1 nAVO) oder unter Abwesenden (vgl. Art. 182a Abs. 1 nAVO) erfolgt. Entsprechend stehen sie in einem Treueverhältnis zu den Versicherungsnehmerinnen und handeln in deren Interesse (Art. 40 Abs. 2 nVAG). Falls kein Kundenkontakt gegeben ist, besteht auch keine Versicherungsvermittlung.
Ein direkter Kundenkontakt unter Anwesenden liegt vor (Art. 182a Abs. 1 nAVO) bei Beratung von Versicherungsnehmerinnen im Hinblick auf den Abschluss eines Versicherungsvertrags oder bei Vorschlagen von Versicherungsverträgen. Mithin gelten als Vermittlungstätigkeit jene Handlungen, die im Hinblick auf den Abschluss eines Versicherungsvertrags eine wesentliche Rolle spielen. Wesentlich ist eine Rolle bei der Versicherungsvermittlung, wenn eine Person die Versicherungsnehmerinnen beim Abschluss eines Versicherungsvertrags massgeblich und aktiv unterstützen oder beraten.
Die Versicherungsvermittlung erfolgt in der Regel am Point-of-Sale. Aber auch andere Handlungen können beim Abschluss eines Versicherungsvertrages eine aktive Rolle spielen. Eintragungspflichtig sind deshalb alle natürlichen Personen, wenn sie Kundenkontakt haben und dabei beim Abschluss eines Versicherungsvertrags massgeblich und aktiv unterstützen oder beraten. Angestellte ohne Kundenverantwortung, wie z.B. Backoffice, Empfang oder Buchhaltung, müssen sich jedoch nicht registrieren lassen und sind auch nicht von der Pflicht zur Aus- und Weiterbildung nach Art. 43 nVAG erfasst.
Art. 182a Abs. 2 nAVO regelt den Kundenkontakt unter Abwesenden, zum Beispiel über eine Website, Smartphone-App etc. In diesen Fällen gelten als Versicherungsvermittlerinnen Personen, die am Anbieten oder Abschliessen eines Versicherungsvertrags ein wirtschaftliches Interesse haben und (Art. 182a Abs. 2 lit. a und b nAVO):
- Informationen über einen oder mehrere Versicherungsverträge aufgrund von individualisierten Kriterien bereitstellen, die eine Versicherungsnehmerin über diese Website oder dieses andere elektronische Medium wählen kann, oder
- eine Rangliste von Versicherungsprodukten, einschliesslich eines Preis- und Produktevergleichs erstellen.
Nicht als Versicherungsvermittlerinnen gelten Personen, welche nur Daten oder Informationen zur Verfügung stellen (Art. 182a Abs. 3 nAVO).
B. Corporate Governance-Prinzipien
Gegenwärtig stellen weder das VAG noch die AVO Anforderungen an die Corporate Governance bzw. Unternehmensführung von Versicherungsvermittlerinnen. Im Rahmen der aktienrechtlichen Gestaltungs- und Organisationsfreiheit können somit die Versicherungsvermittlerinnen nach geltendem Recht ihre Corporate Governance beliebig festlegen. Insbesondere ist es zulässig, dass der Verwaltungsrat die Geschäftsführung nach Massgabe eines Organisationsreglements ganz oder teilweise einzelnen Mitgliedern oder Dritten überträgt (Art. 716b Abs. 1 OR und Art. 716b Abs. 1 OR).
Die Corporate Governance von Versicherungsvermittlerinnen wird fortan indirekt geregelt. Ziel dieser Governance-Bestimmungen ist es, eine solide und umsichtige Unternehmensführung sowie die faire Behandlung der Kunden zu gewährleisten.
Voraussetzung für die Eintragung von ungebundenen Versicherungsvermittlerinnen ist neu, dass diese einen guten Ruf geniessen und Gewähr für die Erfüllung der Pflichten nach dem VAG bieten (Art. 41 Abs. 2 lit. b nVAG). Der gute Ruf muss sowohl von der Versicherungsvermittlerin und den mit der Verwaltung sowie Geschäftsführung betrauten Personen als auch von den an der Vermittlerin qualifiziert beteiligten Personen erfüllt werden (Art. 187 nAVO).
Anknüpfend an diese Unternehmensgewähr werden neu die Anforderungen an die Unternehmensführung definiert (Art. 188 nAVO). Künftig müssen Versicherungsvermittlerinnen gewisse Mindeststandards in der Unternehmensführung einhalten. Nach Art. 188 Abs. 1 nAVO müssen die Versicherungsvermittlerinnen durch interne Vorschriften und eine angemessene Betriebsorganisation die Erfüllung der Pflichten aus dem VAG sicherstellen. Zu diesem Zweck müssen sie gewisse Prinzipien der (guten) Unternehmensführung einhalten.
Die Mindeststandards richten sich – entsprechend dem Grundsatz einer proportionalen Regulierung – nach der Grösse, Komplexität und Rechtsform und müssen für die von ihr angebotenen Versicherungsdienstleistungen angemessen sein (Art. 188 Abs. 2 nAVO). Zu diesen Mindeststandards gehören insbesondere (Art. 188 Abs. 2 lit a. – f nAVO):
- klare Zuweisung und Dokumentation von Aufgaben, Kompetenzen, und Berichtswegen (z.B. im Organisationsreglement und in den Pflichtenheften der Geschäftsführung und der Mitarbeitenden);
- klare Trennung zwischen operativen Tätigkeiten und Kontrolltätigkeiten etwa in persönlicher und räumlicher Hinsicht; als Kontrollfunktionen gelten in der Finanzmarktgesetzgebung gemeinhin die Risikomanagement-Funktion, die Compliance-Funktion und die interne Revision; in der AVO wird nicht definiert, welche Kontrolltätigkeiten bei einer Versicherungsvermittlerin vorhanden sein müssen; dies wird im konkreten Einzelfall von der Grösse und Komplexität des Unternehmens sowie den angebotenen Versicherungsdienstleistungen abhängen; die Trennung von operativen Tätigkeiten und Kontrolltätigkeiten bezweckt, die Kontrollfunktionen vor unangemessener Einflussnahme durch ergebnisorientierte Gremien oder Führungskräfte zu schützen, was wiederum eine grössere Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Kontrollfunktionen gewährt; entsprechend dürfte zum Beispiel eine Compliance-Funktion nicht mit einer aktiven Tätigkeit im operativen Geschäft (Kundenberatung, Akquisition) vereinbar sein und deshalb nicht von der gleichen Person wahrgenommen werden;
- Dokumentation der wesentlichen Entscheidungen und der Umsetzung der Informationspflicht nach Artikel 45 nVAG;
- Festlegung von Grundsätzen, Prozessen und Strukturen zur Einhaltung der gesetzlichen, regulatorischen und internen Vorschriften (wie z.B. Anforderungen an die Beratung von Versicherungsnehmerinnen, Offenlegung von Entschädigungen, Vermeidung von Interessenkonflikten und Informationspflichten);
- Festlegung von Grundsätzen zu den von den Angestellten erwarteten Verhaltensweisen und der für ihre Tätigkeit nach Artikel 43 nVAG notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse; und
- Verankerung geeigneter Kontrollmechanismen, auch in Bezug auf beigezogene Dritte.
Voraussetzung für die Registrierung von ungebundenen Versicherungsvermittlerinnen im Register nach Art. 42 nVAG ist unter anderem, dass sie eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen haben oder dass gleichwertige finanzielle Sicherheiten bestehen (Art. 41 Abs. 2 lit. d nVAG). Die revidierte Aufsichtsverordnung legt die Anforderungen an die Berufshaftpflichtversicherung sowie die Mindesthöhe der finanziellen Sicherheiten fest.
Der Verordnungsgeber verlangt, dass die Versicherungsvermittlerinnen zur Deckung ihrer Haftpflicht aus der Verletzung der beruflichen Sorgfaltspflicht über eine Berufshaftpflichtversicherung für Vermögensschäden verfügen müssen (Art. 189 Abs. 1 nAVO). Nicht zu versichern sind Ansprüche aus einer Haftung für die Verletzung der beruflichen Sorgfaltspflichten auf Grundlage von Bestimmungen, die vertraglich übernommen wurden und über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehen. Die massgebenden beruflichen Sorgfaltspflichten der ungebundenen Versicherungsvermittlerinnen ergeben sich aus den Vorgaben des VAG und den einschlägigen Bestimmungen des Obligationenrechts.
Eine Pflicht zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung entfällt, wenn ein Dritter (z.B. die Arbeitgeberin) eine solche abgeschlossen hat, welche die Versicherungsvermittlerin (die Arbeitnehmerin) in die Deckung miteinschliesst (Art. 189 Abs. 2 nAVO).
Die Berufshaftpflichtversicherung muss folgende Konditionen aufweisen:
- Die Deckungssumme, die für alle Schadenfälle eines Jahres zur Verfügung steht, muss – wie im bisherigen Recht – mindestens CHF 2 Mio. betragen; wenn die Versicherungsvermittlerin Angestellte beschäftigt, die für sie Versicherungsverträge vermitteln, entspricht die Deckungssumme CHF 3 Mio. bei zwei bis vier Angestellten, CHF 4 Mio. bei fünf bis acht Angestellten und CHF 5 Mio. bei mehr als acht Angestellten (Art. 189 Abs. 3 nAVO).
- Die Berufshaftpflichtversicherung muss bei einem dem VAG unterstehenden Versicherungsunternehmen abgeschlossen werden und eine ordentliche Kündigungsfrist von mindestens drei Monaten aufweisen (Art. 189 Abs. 5 nAVO).
- Die Versicherung muss auch eine Nachhaftung vorsehen. Danach muss sie Schäden decken, die innerhalb von fünf Jahren nach Ablauf des Versicherungsvertrags geltend gemacht werden, wenn sie während dessen Laufzeit verursacht wurden und soweit nicht aus einem anderen Versicherungsvertrag eine gleichwertige Leistungspflicht besteht (Art. 189 Abs. 6 nAVO). Diese Anforderung ist vor allem relevant, wenn eine Versicherungsvermittlerin in Konkurs gefallen oder liquidiert worden ist.
- Die Begrenzung eines allfälligen Selbstbehalts wird nicht gefordert. Allerdings wäre ein Selbstbehalt, der den Grundsatz der Versicherungspflicht gemäss VAG untergräbt, im Einzelfall nicht gültig. Dies unter anderem aufgrund von Art. 59 Abs. 3 VVG. Danach können bei obligatorischen Haftpflichtversicherungen geschädigten Personen gegenüber Einreden aus einem vertraglich vereinbarten Selbstbehalt nicht entgegengehalten werden.
Anstelle einer Berufshaftpflichtversicherung kann die Versicherungsvermittlerin eine gleichwertige finanzielle Sicherheit leisten. Die FINMA entscheidet im Einzelfall, welche finanziellen Sicherheiten als gleichwertig anzusehen sind (Art. 189 Abs. 7 nAVO).
Art. 190b nAVO, der die Berichterstattung der registrierten Versicherungsvermittlerinnen regelt, soll die Informationsgrundlagen und damit die Wirksamkeit der Vermittleraufsicht durch die FINMA zum Kundenschutz verbessern. Der Erläuterungsbericht des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) basiert wohl auf der Annahme, dass die Registrierungspflicht und die Meldepflicht betreffend Änderungen von wesentlichen, der Registrierung zugrunde liegenden Tatsachen nicht für einen effektiven Kundenschutz ausreicht. Vielmehr geht der Verordnungsgeber offensichtlich davon aus, dass die Kunden vor Missbrauch nur mittels einer präventiven, datenbasierten – neben einer repressiven – Aufsicht effektiv geschützt werden können.
Art. 190b Abs. 1 nAVO sieht dementsprechend eine jährliche Berichterstattung vor. Danach erhebt die FINMA bei den registrierten Versicherungsvermittlerinnen jährlich die für die Aufsicht notwendigen wesentlichen Kennzahlen und Informationen zu deren Tätigkeit. Für die Aufsicht notwendig sind die Kennzahlen und Informationen, die der FINMA die Überprüfung der Einhaltung der Registrierungs- und Gewährsvoraussetzungen erlauben (Art. 190b Abs. 3 lit. a und b nAVO). Art und Umfang der von der FINMA erhobenen Kennzahlen und Informationen richten sich nach Grösse, Art und Risiken des Geschäfts.
Art. 190b Abs. 3 lit. a und b nAVO verlangen eine jährliche Berichterstattung über die Einhaltung der Registrierungs- und Gewährsvoraussetzungen. Weder Versicherungsunternehmen noch andere institutionelle Gewährsträger wie Banken oder Finanzinstitute unterliegen einer jährlichen Überprüfung der Bewilligungs- und Gewährsvoraussetzungen. Vielmehr müssen diese Beaufsichtigten nur Änderungen von Tatsachen melden, die dem entsprechenden Bewilligungsgesuch zugrunde lagen. Eine präventive, datenbasierte Aufsicht findet in diesem Bereich nicht statt. Im Übrigen ist unseres Erachtens Art. 190b Abs. 3 lit. a nAVO bezüglich Einhaltung der Registrierungsvoraussetzungen überflüssig, da Versicherungsvermittlerinnen jegliche Änderungen von Tatsachen, welche der Registrierung zugrunde liegen, gemäss Art. 185 nAVO melden müssen.
Das Schweizer Aufsichtsrecht sieht für gewisse Beaufsichtigte anstelle einer prudenziellen Aufsicht lediglich eine Registrierungspflicht vor. Neben Versicherungsvermittlerinnen betrifft dies gegenwärtig Kundenberaterinnen gemäss FIDLEG, welche sich in ein Beraterregister eintragen müssen. Das FIDLEG-Beraterregister verfügt sodann über ähnliche Eintragsvoraussetzungen wie das Vermittlerregister gemäss VAG. Die Parallele zwischen Kundenberaterinnen und Versicherungsvermittlerinnen ist dahingehend akzentuiert, da ursprünglich angedacht war, dass Versicherungsvermittlerinnen gemäss VAG und Kundenberaterinnen gemäss FIDLEG in einem einheitlichen Beraterregister registriert würden. Das FIDLEG sieht jedoch im Zusammenhang mit dem Eintrag im Beraterregister keine laufende Berichterstattung vor.
Aus der Perspektive des Kundenschutzes ist unseres Erachtens kein überzeugender Grund ersichtlich, warum Versicherungsvermittlerinnen einer viel strengeren Regulierung unterworfen werden als Kundenberaterinnen. Dies gilt umso mehr, als dass Kundenberaterinnen gemäss FIDLEG Kundengelder und Vermögenswerte entgegennehmen und verwalten können.
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