Neue Regeln für Versicherer zum Umgang mit naturbezogenen Finanzrisiken

Abstract

Die FINMA konkretisiert ihre Aufsichtspraxis zum Management von naturbezogenen Finanzrisiken im Entwurf zu einem neuen Rundschreiben.

I. Überblick

Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA (FINMA) hat am 1. Februar 2024 die öffentliche Anhörung zum neuen Rundschreiben-Entwurf «Naturbezogene Finanzrisiken» eröffnet. Die Anhörung dauert bis 31. März 2024. Dieses Rundschreiben soll am 1. Januar 2025 in Kraft treten; es sind Übergangsfristen vorgesehen.

Mit diesem Rundschreiben konkretisiert die FINMA ihre Aufsichtspraxis zum Management von naturbezogenen Finanzrisiken. Hauptfokus legt die FINMA auf Anforderungen in den Bereichen Governance und Risikomanagement.

Dieses Rundschreiben richtet sich primär an Banken und Versicherer, die der Aufsicht der FINMA unterstehen. Aufgrund ihres unterschiedlichen Geschäftsmodelles sind Banken gegenüber naturbezogenen Finanzrisiken unterschiedlich exponiert und unterliegen deshalb teilweise anderen Anforderungen. Die nachfolgenden Ausführungen behandeln diese bankenrechtlichen Anforderungen jedoch nur am Rande und fokussieren sich auf die neuen Vorgaben für Versicherer.

II. Geltungsbereich

Das Rundschreiben richtet sich in erster Linie an Banken und Versicherer. Bei Instituten, die Teil einer Finanzgruppe oder eines Finanzkonglomerats sind, reicht es aus, wenn die oberste Konzernobergesellschaft die Anforderungen des Rundschreibens erfüllt.

Aus Gründen der Proportionalität und des risikobasierten Ansatzes der FINMA fallen Erst- und Rückversicherungsunternehmen der Kategorien 4 und 5 gemäss Art. 1c bzw. 1d AVO nicht in den Geltungsbereich dieses Rundschreibens. Ausgenommen sind aus den gleichen Überlegungen die Institute des Kleinbankenregimes und die übrigen bewilligungs-, anerkennungs- und registrierungspflichtigen Institute (z.B. Verwalter von Kollektivvermögen, Fondsleitungen, Versicherungsvermittlerinnen) sowie die kollektiven Kapitalanlagen (z.B. SICAV).

Wenn solche ausgenommenen Institute naturbezogenen Finanzrisiken ausgesetzt sind, wird jedoch von ihnen erwartet wird, dass sie diese Risiken angemessen berücksichtigen. Das Rundschreiben soll dabei als Orientierung dienen.

Die Anforderungen des Rundschreibens fokussieren auf die finanziellen Risiken der Versicherer. Die Anforderungen zielen nicht darauf ab, Anlage- oder Zeichnungsentscheidungen eines Versicherers zu beeinflussen oder die Auswirkungen der Geschäftstätigkeiten auf Umweltfaktoren nachhaltiger zu gestalten. Kernpunkt ist, dass solche Entscheidungen unter Berücksichtigung der relevanten kurz-, mittel- und langfristigen naturbezogenen Finanzrisiken vorgenommen werden.

III. Rechtliche Grundlagen

Die FINMA hat sich erklärtermassen an den Arbeiten der internationalen Standardsetzungsgremien orientiert. Diese Standards sind nicht verbindlich. Insbesondere darf die FINMA ihre Aufsichtspraxis nur im Rahmen ihres Aufsichtsmandates konkretisieren, der von den übergeordneten finanzmarktpolitischen Zielen und vom Zweck der Finanzmarktgesetze abgesteckt wird.

Nach der Finanzmarktpolitik des Bundesrats soll der Staat Rahmenbedingungen schaffen, die eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand ermöglichen. Pfeiler dieser Finanzmarktpolitik sind das Primat marktwirtschaftlicher Lösungen und die Subsidiarität staatlichen Handelns. Nur wenn trotz der bestehenden Rahmenbedingungen Marktimperfektionen oder Marktversagen entstehen, soll der Staat eingreifen und regulatorische Massnahmen vorsehen.

Die zentralen Ziele der Finanzmarktregulierung sind der Individualschutz (Gläubiger-, Anleger- und Versichertenschutz), die Systemstabilität sowie die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte. Diese übergeordneten Ziele kommen im Art. 4 FINMAG zum Ausdruck.

Im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit befasst sich die FINMA grundsätzlich mit allen potenziellen Risiken für Finanzinstitute und für das Finanzsystem. Ihr Aufsichtsmandat wird jedoch gestützt auf die finanzmarktpolitischen und -rechtlichen Vorgaben definiert. Dies muss auch bei den Anforderungen an das Management von naturbezogenen Finanzrisiken beachtet werden. Andernfalls fehlt eine rechtliche Rechtfertigung für die neuen Regeln im Rundschreiben.

Deshalb sollten sich die Anforderungen im Rundschreiben auf das Mandat der FINMA, Gläubigerinnen und Gläubiger, Anlegerinnen und Anleger und Versicherte sowie die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte zu schützen, beschränken. Zur Erreichung dieser Schutzziele muss sich das Rundschreiben auf den Bereich des Risikomanagements beschränken. Zusätzliche Anforderungen im Governance-Bereich, die über ein angemessenes Risikomanagement hinausgehen, sind deshalb problematisch, zumal es keine Anhaltspunkte gibt, dass Marktimperfektionen oder Marktversagen beim Umgang mit Umweltrisiken durch Versicherer bestehen.

IV. Naturbezogene Finanzrisiken

Der sachliche Anwendungsbereich des Rundschreibens umfasst die naturbezogenen Finanzrisiken. Demgegenüber beschränken sich die Standards der International Association of Insurance Supervisors (IAIS), auf denen die Anforderungen des Rundschreibens nach Angaben der FINMA basieren, auf klimabezogene Risiken (vgl. IAIS-Application Paper on the Supervision of Climate-related Risks in the Insurance Sector).

Im Gegensatz zu Klimarisiken berücksichtigen die Naturrisiken über den Klimawandel hinaus alle potenziell relevanten naturbezogenen Risikotreiber, wie z.B. der Verlust der Biodiversität oder die daraus resultierenden Beeinträchtigungen von Ökosystemleistungen. Im Verständnis der FINMA bilden die klimabezogene Finanzrisiken eine Unterkategorie der naturbezogenen Finanzrisiken.

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Finanzrisiken im Umweltbereich komplex und wenig erforscht sind. Auch Daten und Methodologie fehlen, um naturbezogene Risiken mit einer gewissen Sicherheit zu modellieren bzw. zu bestimmen. Entsprechend ist es schwierig, die Materialität von naturbezogene Finanzrisiken für Versicherer zu beurteilen. Somit sollten die Anforderungen bezüglich solcher Risiken nur mit Augenmass erfolgen (z.B. bezüglich Szenarioanalysen und Wesentlichkeitsbeurteilungen).

V. Governance

Das Rundschreiben gibt Standards für die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der mit der Oberleitung und der Geschäftsführung befassten Personen (z.B. Verwaltungsrat, Geschäftsleitung) und der unabhängigen Kontrollinstanzen und -funktionen vor. Die Vorgaben, die dokumentiert werden müssen (z.B. im Organisationsreglement), beziehen sich auf die Identifikation, Beurteilung, Bewirtschaftung und Überwachung von naturbezogenen Finanzrisiken sowie die entsprechende interne und externe Berichterstattung.

Im Sinne eines zusätzlichen Gewährserfordernisses müssen diese Organe und Gremien über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen bezüglich naturbezogene Finanzrisiken und den Umgang damit verfügen. Zudem erwartet die FINMA eine Anpassung der Vergütungssysteme, wenn sie nicht geeignet sind, die Risikostrategie des Versicherers bezüglich naturbezogenen Finanzrisiken zu unterstützen.

VI. Szenarioanalysen

Um die Auswirkungen von Naturrisiken auf die Versicherungssparten und -produkte unter verschiedenen, plausiblen Annahmen einzuschätzen, müssen die Versicherer zudem Szenarioanalysen durchführen. Darunter wird die kritische Auseinandersetzung mit möglichen, zukünftigen Entwicklungen der naturbezogenen Finanzrisiken und deren Auswirkungen auf den Versicherer verstanden.

Die Szenarioanalyse muss qualitative Überlegungen zu den direkten und indirekten Auswirkungen verschiedener adverser Szenarien von Naturrisiken und die dadurch möglichen Beeinträchtigungen des Geschäftsmodells beinhalten. Diese Szenarien müssen unterschiedliche Zeithorizonte und auch Auswirkungen auf Markt-, Kredit- und Liquiditätsrisiken sowie auf das Asset Liability Management analysieren. Dabei sind auch Ereignisse mit geringer Wahrscheinlichkeit und potenziell grossen Auswirkungen zu erfassen.

Zudem müssen die «grossen» Versicherer (Kategorie 1 und 2) sowie die Versicherer, die gegenüber naturbezogenen Finanzrisiken erhöht exponiert sind, verschiedene Szenarien auch mit quantitativen Methoden analysieren. Ziel dabei ist, die Auswirkungen unterschiedlicher Szenarien präziser einzuschätzen. Die quantitativen Vorgaben sind heikel, da zur Zeit aussagekräftige Daten und Methodologien fehlen, um naturbezogene Risiken mit einer gewissen Sicherheit zu modellieren.

VII. Risikomanagement

Die Versicherer sind sodann gehalten, die wesentlichen naturbezogenen Finanzrisiken in die relevanten Prozesse, Richtlinien und Kontrollen ihrer Versicherungstätigkeit zu integrieren. Dies gilt für folgende Bereiche:

  • Art und Ausgestaltung der Versicherungsdeckungen;
  • Tarifierung, Underwriting;
  • Steuerung und Überwachung der Versicherungsrisiken, einschliesslich Risikokonzentrationen, -korrelationen und -akkumulationen; und
  • Schadenreservierung.

Die Bewirtschaftung und Überwachung der naturbezogenen Finanzrisiken sowie die Berichterstattung darüber sind in das institutsweite Risikomanagement und interne Kontrollsystem aufzunehmen.

Die Versicherer sind sodann verpflichtet, potentielle Auswirkungen von ausserordentlichen, naturbedingten Ereignissen auf die Aufrechterhaltung und Weiterführung des Geschäftsbetriebs zu analysieren. Dazu gehört insbesondere eine Analyse, wie sich Naturrisiken auf die Personen, Prozesse, Betriebsgebäude, IT-Systeme und sonstige Geschäftsausstattung sowie auf ausgelagerte Dienstleistungen auswirken.

Auch Compliance Risiken sowie potentielle Reputations- und Rechtsrisiken aus dem Umgang mit Naturrisiken sowie die allenfalls daraus resultierenden finanziellen Verluste müssen analysiert werden.

Die FINMA verlangt zudem, dass die Versicherer regelmässig beurteilen, ob die Geschäftsstrategie, das Geschäftsmodell und der Umgang mit den Risiken (z.B. Risikoappetit) mit den allfälligen öffentlichen Erklärungen und gesetzlichen Verpflichtungen übereinstimmen. Ebenso ist die Beurteilung erforderlich, ob die öffentlichen Erklärungen und Verpflichtungen angemessen in der internen Organisation verankert sind.

VIII. Weitere Anforderungen

Naturbezogenen Finanzrisiken sind in die Own Risk and Solvency Assessments (ORSA) der Versicherer zu integrieren. Dabei ist der Einfluss dieser Risiken auf das Gesamtrisikoprofil, den gesamten Kapitalbedarf, die Szenarien und den Bedarf für risikomindernde Massnahmen zu berücksichtigen.

Die verantwortlichen Aktuare müssen über wesentliche naturbezogene Finanzrisiken in ihren Berichten an die Geschäftsleitung berichten. Dies setzt entsprechend voraus, dass diese Risiken in der Erfüllung ihrer aufsichtsrechtlichen Aufgaben berücksichtigt werden.

IX. Übergangsbestimmungen

Bei den Übergangsbestimmungen wird unterschieden zwischen Institute der Kategorien 1 und 2 sowie der übrigen Kategorien. Die Institute der Kategorien 1 und 2 müssen die Risikoidentifikation, die Wesentlichkeitsbeurteilung und die Szenarioanalysen sowie die Beurteilung der Übereinstimmung von Geschäftsstrategie, Geschäftsmodell, Risikotoleranz sowie Risikomanagement mit den öffentlichen Erklärungen und gesetzlichen Verpflichtungen bereits ab 1. Januar 2025, d.h. dem geplanten Inkrafttreten des Rundschreibens, erfüllen. Die restlichen Anforderungen sind innert Jahresfrist ab Inkrafttreten des Rundschreibens umzusetzen.

Die Institute der übrigen Kategorien müssen die Risikoidentifikation, die Wesentlichkeitsbeurteilung und die Szenarioanalysen sowie die Beurteilung der Übereinstimmung von Geschäftsstrategie, Geschäftsmodell, Risikotoleranz sowie Risikomanagement mit den öffentlichen Erklärungen und gesetzlichen Verpflichtungen innert Jahresfrist ab Inkrafttreten des Rundschreibens erfüllen. Die restlichen Anforderungen sind innert zwei Jahren ab Inkrafttreten des Rundschreibens umzusetzen.

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