Leitentscheid zur Vollstreckung von ICSID-Schiedssprüchen

Abstract

Das Schweizer Bundesgericht hat letzte Woche einen neuen Leitentscheid auf seiner Website veröffentlicht (Entscheid 5A_406/2022 vom 17. März 2023; der Entscheid ist zur Publikation als BGE vorgesehen), der die Voraussetzungen für eine Verarrestierung von Vermögenswerten eines ausländischen Staates auf der Basis eines ICSID-Schiedsspruchs gegen den ausländischen Staat klärt.

Im vorliegenden Fall hatte ein Schiedsgericht dem Kläger/Arrestgläubiger in einem Schiedsspruch nach dem Übereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten vom 18. März 1965 (ICSID-Übereinkommen) bestimmte Geldbeträge zugesprochen. Der Kläger/Arrestgläubiger versuchte, den ICSID-Schiedsspruch gegen den ausländischen Staat in der Schweiz zu vollstrecken, und beantragte die Verarrestierung mehrerer sich in der Schweiz befindlicher Vermögenswerte des ausländischen Staates, unter anderem Bankkonten, Immobilien, Marken und Patente, im Rahmen eines Arrests gemäss Art. 271 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG).

In diesem Zusammenhang bestätigte das Bundesgericht, dass ein Arrest gemäss Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 nicht voraussetzt, dass der Arrestgläubiger vorab einen definitiven Entscheid über die Anerkennung und Vollstreckbarkeit des ICSID-Schiedsspruchs erwirkt. Vielmehr ist ausreichend, wenn der Arrestgläubiger im Arrestverfahren glaubhaft macht, dass der Anerkennung und Vollstreckung seines Titels dem ersten Anschein nach nichts entgegensteht. Zu letzterem Erfordernis stellte das Bundesgericht fest, dass nach Art. 54 Abs. 1 ICSID-Übereinkommen jeder Vertragsstaat verpflichtet ist, jeden im Rahmen des ICSID-Übereinkommens erlassenen Schiedsspruch als bindend anzuerkennen und für die Vollstreckung der darin auferlegten finanziellen Verpflichtungen in seinem Hoheitsgebiet zu sorgen so, als handle es sich um ein rechtskräftiges Urteil eines seiner innerstaatlichen Gerichte. Gemäss Art. 54 Abs. 2 ICSID-Übereinkommen muss die betroffene Partei lediglich eine vom ICSID-Generalsekretär beglaubigte Kopie des Schiedsspruchs vorlegen, um die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates zu erwirken. Das Bundesgericht stellte daher fest, dass gemäss Art. 54 Abs. 1 und 2 ICSID-Übereinkommen vor der Vollstreckung nur eine Prüfung der Echtheit des Schiedsspruchs erfolgen kann, nicht aber eine Überprüfung des Schiedsspruchs auf allgemeine Anerkennungsvoraussetzungen; insbesondere ist auch eine Ordre public-Kontrolle verwehrt. Um eine Verarrestierung von Vermögenswerten auf der Grundlage eines ICSID-Schiedsspruchs zu erwirken, muss der Arrestgläubiger also nur glaubhaft machen, dass es sich um einen echten ICSID-Schiedsspruch handelt.

Hinsichtlich der Verarrestierung von Vermögenswerten eines ausländischen Staates verwies das Bundesgericht auf seine Rechtsprechung, wonach eine solche Verarrestierung zweierlei voraussetzt: Erstens darf der fremde Staat im Rechtsverhältnis, das der Arrestforderung zugrunde liegt, nicht hoheitlich («iure imperii») gehandelt haben, sondern muss als Träger von privaten Rechten («iure gestionis») aufgetreten sein. Zweitens setzt eine Zwangsvollstreckungsmassnahme gegen einen fremden Staat auch in Fällen privatrechtlichen Handelns voraus, dass das besagte Rechtsverhältnis eine hinreichende Binnenbeziehung zum schweizerischen Staatsgebiet aufweist. Das Bundesgericht hat im besprochenen Entscheid eingehend geprüft, ob das Erfordernis einer ausreichenden Binnenbeziehung auch bei der Vollstreckung von ICSID-Schiedssprüchen gilt, die von den Vertragsstaaten für die Vollstreckung wie inländische Urteile behandelt werden müssen. Das Bundesgericht kam jedoch zu dem Schluss, dass dieses Erfordernis auch für ICSID-Schiedssprüche gilt. Es stellte fest, dass das Erfordernis einer Binnenbeziehung nicht gegen Art. 54 ICSID-Übereinkommen verstösst, und verwies auf die Lehre, wonach das Erfordernis einer Binnenbeziehung im Einklang steht mit dem Recht der Vertragsstaaten, ihr eigenes Recht auf Vollstreckungsimmunität anzuwenden (Art. 55 ICSID-Übereinkommen). Nach der Rechtsprechung liegt eine Binnenbeziehung insbesondere dann vor, wenn das Schuldverhältnis, aus dem die streitige Arrestforderung hergeleitet wird, in der Schweiz begründet wurde oder wenn es hier zu erfüllen ist oder wenn der fremde Staat in der Schweiz zumindest Handlungen vorgenommen hat, mit denen er in der Schweiz einen Erfüllungsort begründete. Hingegen genügt es nicht, dass Vermögenswerte des fremden Staates in der Schweiz gelegen sind oder die Forderung von einem Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz zugesprochen wurde. Ebensowenig genügt ist, dass die Forderung einem ICSID-Schiedsspruch entspringt, der für die Vollstreckung wie inländische Urteile zu behandeln ist.

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