Euro-Löhne für Schweizer Grenzgänger

Abstract

Klagen von Grenzgängern gegen Euro-Löhne missbräuchlich

 

Hintergrund

Das massive Erstarken des Schweizerfrankens im letzten Jahrzehnt hat insbesondere exportorientierte Schweizer Unternehmen finanziell stark unter Druck gesetzt. Zahlreiche Unternehmen mit Sitz in der Schweiz sahen sich gezwungen, kostensenkende Massnahmen zu ergreifen. Vor diesem Hintergrund entschlossen sich einige Unternehmen, insbesondere solche im grenznahen Bereich, ihre im Ausland wohnhaften Arbeitnehmer neu in Euro zu bezahlen. Die in der Schweiz wohnhaften Arbeitnehmer erhielten aber weiterhin einen Schweizerfranken-Lohn. Die Unternehmen begründeten diese Massnahme damit, dass die Lebenshaltungskosten im Ausland deutlich tiefer lägen als jene in der Schweiz. Der Systemwechsel wurde per Änderungsvereinbarung bzw. Änderungskündigung implementiert.

Vor dem Hintergrund weiter fallender Kurse sahen sich einige Grenzgänger gegenüber ihren Schweizer Arbeitskollegen diskriminiert und haben unter Berufung auf das Freizügigkeitsabkommen mit der EU (FZA) gegen ihre ehemaligen Arbeitgeberinnen Klage auf Nachzahlung der Lohndifferenz eingereicht.

Zwei Fälle vor dem Bundesgericht

Am 15. Januar 2019 befasste sich das Bundesgericht erstmals mit der Thematik der Euro-Löhne für Grenzgänger. Den beiden Fällen, die das Bundesgericht öffentlich beriet, lagen sehr ähnliche Sachverhalte zugrunde:

Der erste Fall 4A_230I2018 betraf das Arbeitsverhältnis zwischen einer deutschen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in Deutschland und einem Unternehmen mit Sitz in Deutschland, das einen Standort in der Schweiz betrieb, von wo aus die Arbeitnehmerin tätig war. Der überbewertete Schweizerfranken und der schwache Euro setzten der Produktionsstätte in der Schweiz stark zu. So sah sich die Arbeitgeberin gezwungen, ihre Mitarbeitenden mit Wohnsitz ausserhalb der Schweiz neu in Euro zu bezahlen. Im Dezember 2011 orientierte sie ihre Mitarbeitenden über diese geplante Vertragsänderung und dass diese, sofern notwendig, per Änderungskündigung durchgesetzt werde. Die spätere Klägerin stimmte diesem Änderungsvertrag zu, worauf ihr der Lohn in Euro entrichtet wurde. Dies führte bei ihr nominell zu einem niedrigeren Einkommen. Nachdem ihr die Arbeitgeberin im Jahr 2014 gekündigt hatte, leitete die Arbeitnehmerin vor dem Kantonsgericht Schaffhausen Klage ein und forderte die Differenz zwischen dem ihr ausbezahlten Lohn in Euro und dem Lohn, der ihr in Schweizerfranken entrichtet worden wäre.

Im zweiten Fall 4A_215I2017 machte ein französischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Frankreich Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mit seiner ehemaligen Arbeitgeberin mit Sitz in der Schweiz geltend. Auch hier hatte das Unternehmen, geschwächt vom starken Schweizerfranken, angekündigt, seinen Mitarbeitenden mit Wohnsitz im Ausland einen Änderungsvertrag vorzulegen. Der spätere Kläger willigte ein. Die Abänderung des Arbeitsvertrages bestand wiederum darin, dass den im Ausland wohnhaften Mitarbeitenden der Lohn ab dem 1. Januar 2012 in Euro entrichtet wurde. Im Januar 2016, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, leitete der ehemalige Arbeitnehmer Klage gegen das Unternehmen ein und verlangte ebenfalls die Differenz zu seinem hypothetischen Schweizerfranken-Lohn.

Erwägungen des Bundesgerichts

In der öffentlichen Beratung gingen die Meinungen der Richter der Ersten zivilrechtlichen Abteilung stark auseinander.

Umstritten war insbesondere die Drittwirkung des FZA. Einzelne Richter vertraten die Ansicht, dass die Beschwerden der Arbeitgeberinnen gutzuheissen seien, weil Art. 9 Anhang I FZA (Verbot der Arbeitnehmerdiskriminierung) zwischen Privaten gar keine Anwendung finde. Zudem wurde die Ansicht vertreten, dass — selbst wenn das FZA zur Anwendung käme — die Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer durch die finanzielle Notlage der Unternehmen (also vorwiegend wirtschaftlich) gerechtfertigt sei.

Demgegenüber haben sich andere Richter klar für die Drittwirkung des Diskriminierungsverbots auch auf Private ausgesprochen. Diese Richter kamen sodann zum Schluss, dass die Grenzgänger unter dem FZA diskriminiert worden seien. Das Argument der durch die Frankenstärke angeblich gestiegenen Kaufkraft der Grenzgänger sowie die womöglich niedrigeren Lebenshaltungskosten im grenznahen EU-Ausland rechtfertige keine Ungleichbehandlung.

Letztlich wurden die Beschwerden der Arbeitgeberinnen gutgeheissen, weil sich die beiden ehemaligen Arbeitnehmenden jedenfalls rechtsmissbräuchlich auf das Diskriminierungsverbot gestützt hatten. Der Rechtsmissbrauch ergebe sich aus dem widersprüchlichen Verhalten der Arbeitnehmenden, die der Lohnmassnahme im Wissen darum zugestimmt hatten, letztlich auch ihren eigenen Arbeitsplatz zu sichern. Erst Jahre später hatten sie sich auf eine Diskriminierung im Vergleich zu ihren in der Schweiz wohnhaften Kollegen berufen.

Die schriftlichen Begründungen der Entscheide stehen noch aus.

Würdigung

Beachtenswert an den vorliegenden Urteilen ist zunächst, dass das Bundesgericht die arbeitsrechtlichen Ansprüche wegen Rechtsmissbrauchs abwies. Rechtsmissbrauch wird insbesondere im Arbeitsrecht nur mit grosser Zurückhaltung angenommen. So hält etwa Art. 341 Abs. 1 OR fest, dass der Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes ergeben, nicht verzichten kann. Diese Bestimmung ist gerade darauf ausgerichtet, auch widersprüchliches Verhalten der Arbeitnehmer zu schützen. Daher müssen nach Rechtsprechung des Bundegerichts «circonstances tout à fait exceptionnelles» vorliegen, damit ein Rechtsmissbrauch bejaht wird. Die besonderen Umstände sieht das Bundesgericht vorliegend in der prekären wirtschaftlichen Lage der Unternehmen aufgrund der Eurokrise und des starken Schweizerfrankens. Dass die wirtschaftliche Situation ausserordentlich war, bestätige sich dadurch, dass auch die Schweizerische Nationalbank Mühe hatte, der Situation Herr zu werden. Zudem hatten die Arbeitnehmer zunächst von der arbeitsplatzerhaltenden, aber kostensparenden Massnahme profitiert und waren damit einverstanden; erst bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses hatten sie sich auf ihre angeblichen Rechte aus dem FZA berufen.

Die Lösung des Bundesgerichts über das Rechtsmissbrauchsverbot lässt die Frage offen, ob das im FZA geregelte Diskriminierungsverbot von Arbeitnehmern auch zwischen Privaten Rechte und Pflichten entfaltet. Sie lässt zudem auch die Fragen ungeklärt, ob in solchen Fällen überhaupt eine Ungleichbehandlung unter dem FZA vorliegt und ob eine Rechtfertigung solch einer Ungleichbehandlung insbesondere aufgrund unterschiedlicher Lebenshaltungskosten im In- und Ausland ausgeschlossen wäre. Diese Fragen wurden in den vorinstanzlichen Verfahren vom Kantonsgericht Jura und vom Obergericht Schaffhausen, aber auch vom grössten Teil der Lehre, jeweils bejaht. Sie lassen sich aber im Sinne der Diskussion im Bundesgericht mit gewichtigen — und richtigen — Argumenten verneinen.

Das Bundesgericht hat mit diesen im Ergebnis begrüssenswerten Urteilen die Position der Arbeitgeber gestärkt. Beruft sich ein Arbeitnehmer erst mehrere Jahre nach Einführung des Euro-Lohnes auf das Diskriminierungsverbot, ist sein Vorgehen rechtsmissbräuchlich. Ein Grossteil der Arbeitgeber, die Grenzgänger in Euro vergüten oder vergütet haben, werden diese Lohnmassnahme bereits vor Jahren implementiert haben. Allfällige Klagen dieser Arbeitnehmer müssten ebenfalls als rechtsmissbräuchlich qualifiziert werden.

Zudem sind die Anforderungen an das widerspruchsfreie Verhalten der Arbeitnehmer gestiegen. Dies insbesondere dann, wenn Arbeitnehmer während laufendem Arbeitsverhältnis ausdrücklich auf Ansprüche — und zwar auch auf unverzichtbare Ansprüche nach Art. 341 OR — verzichtet haben, diese dann aber zu einem späteren Zeitpunkt (i.d.R. nach der Kündigung) wieder einfordern möchten.

Offen bleibt, ob Arbeitnehmer, die sich unverzüglich gegen eine allenfalls diskriminierende Massnahme ihrer Arbeitgeber wehren, vor Bundesgericht Erfolg hätten und wo zeitlich die Grenze zu ziehen wäre. Mit Blick auf die sehr offene Formulierung der «circonstances tout à fait exceptionnelles» bleibt abzuwarten, ob das Bundesgericht in den Urteilsbegründungen diesen vagen Begriff konkretisieren und damit Klarheit schaffen wird, in welchen Fällen dem Arbeitnehmer missbräuchliches Verhalten vorgehalten werden kann.

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