Bundesrat verabschiedet Änderung der Aufsichtsverordnung
Abstract
Am 2. Juni 2023 hat der Bundesrat die Änderung der Aufsichtsverordnung verabschiedet. Damit erfolgt der letzte Schritt in der Umsetzung der Teilrevision des Versicherungsaufsichtsgesetzes, die das Parlament am 18. März 2022 genehmigt hat. Die teilrevidierten Rechtserlasse werden auf den 1. Januar 2024 in Kraft gesetzt. In diesem Bulletin behandeln wir die folgenden Themenbereiche: Kleinversicherungsregime, Kriterien für versicherungsnahe bzw. -fremde Geschäfte, risikoabsorbierende Kapitalinstrumente und Versicherungszweckgesellschaften. Die Informationspflichten und Verhaltensregeln bei Erbringung von Versicherungsdienstleistungen sowie die Modernisierung der Versicherungsvermittlung werden in einem separaten Bulletin erläutert.
Inkraftsetzung der Teilrevisionen des Versicherungsaufsichtsgesetzes und der Aufsichtsverordnung per 1. Januar 2024
Am 2. Juni 2023 hat der Bundesrat die Änderung der Verordnung über die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen (Aufsichtsverordnung; AVO) verabschiedet. Damit erfolgt der letzte Schritt in der Umsetzung der Teilrevision des Bundesgesetzes betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz; VAG), die das Parlament am 18. März 2022 genehmigt hat. Ziel dieser Teilrevision ist, den Versichertenschutz und die Wettbewerbsfähigkeit sowie die Innovationsfähigkeit des Versicherungsstandortes Schweiz zu stärken. Zudem adressiert die Teilrevision den Entscheid des Parlamentes im Rahmen der Gesetzgebungsarbeiten zum Finanzdienstleistungsgesetz vom 15. Juni 2018 (FIDLEG), wonach die Verhaltenspflichten des FIDLEG auf die Erbringung von Versicherungsdienstleistungen keine Anwendung finden, sondern ins VAG aufgenommen werden sollen.
Die revidierte Aufsichtsverordnung setzt die Anliegen der Teilrevision des Versicherungsaufsichtsgesetzes um. Weitere Anpassungen ergeben sich aus der Übernahme von FINMA-Regulierungen im Versicherungsbereich, die nach Prüfung ihrer Stufengerechtigkeit entsprechend den Vorgaben der Verordnung vom 13. Dezember 2019 zum Finanzmarktaufsichtsgesetz auf Verordnungsebene überführt wurden (wie z.B. der Swiss Solvency Test (SST), der die Kapitalisierung eines Versicherungsunternehmens misst).
Das teilrevidierte Versicherungsaufsichtsgesetz wird mit der Verabschiedung der vorliegenden Verordnungsänderung auf den 1. Januar 2024 in Kraft gesetzt.
Die Pressemitteilung des Bundesrats, die revidierte Aufsichtsverordnung und den Erläuterungsbericht finden Sie unter diesem Link.
I. Übersicht
Fokus der revidierten Aufsichtsverordnung sind folgende Themenbereiche:
- Einführung eines Kleinversicherungsregimes (Art. 1b – 1g nAVO);
- Festlegung von Kriterien für Geschäfte mit und ohne Zusammenhang mit dem Versicherungsgeschäft (Art. 5b und 5c nAVO);
- Einführung eines Tiering-Systems bei risikoabsorbierenden Kapitalinstrumenten (Art. 32, 34, 37 und 38 nAVO);
- Konkretisierung der Versicherungszweckgesellschaft (Art. 111d – 111u nAVO):
- Einführung von produktspezifischen Informationspflichten und Verhaltensregeln im Zusammenhang mit qualifizierten und nicht-qualifizierten Lebensversicherungsprodukten (Art. 129a nAVO); und
- Modernisierung der Vermittleraufsicht (Art. 182 ff. nAVO).
Das Sanierungsrecht, einer der grossen Themenblöcke der Teilrevision des Versicherungsaufsichtsgesetzes, wird auf Stufe Aufsichtsverordnung nicht weiter konkretisiert. Dies unter anderem deshalb, weil die relevanten Sanierungs- und Insolvenzbestimmungen aufgrund der teilweise erheblichen Eingriffe in die Gläubigerrechte bereits auf Stufe des formellen Gesetzes im Detail geregelt sind.
Im vorliegenden Bulletin behandeln wir die vorgenannten Themenbereiche mit Ausnahme der Informationspflichten und Verhaltensregeln im Zusammenhang mit Lebensversicherungsprodukten sowie der Modernisierung der Vermittleraufsicht. Diese beiden Themenbereiche sind Gegenstand eines separaten Bulletins, das ab 9. Juni 2023 auf unserer Website verfügbar ist.
II. Einführung eines Kleinversicherungsregimes
Zur Wahrung der Zukunftsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes und zur Förderung der Innovation im Versicherungsbereich wird der Bundesrat in Art. 2 Abs. 5 lit. b nVAG ermächtigt, Versicherungsunternehmen ganz oder teilweise von der Aufsicht zu befreien. Die Aufsichtsbefreiung richtet sich dabei nach folgenden Faktoren:
- Geschäftsmodell;
- geringe wirtschaftliche Bedeutung und Risiken des Versicherungsprodukts für die Versicherungsnehmerinnen;
- Geschäftsvolumen; und
- Kreis der Versicherten.
Somit führt das revidierte VAG ein Kleinversicherungsregime mit einer aufsichtsbefreiten Sandbox ein. Die AVO öffnet das Kleinversicherungsregime für alle Versicherungen und verzichtet auf den Nachweis eines besonders innovativen Geschäftsmodells.
B. Aufsichtsbefreiung (Sandbox)
Die Aufsichtsbefreiung (Sandbox) setzt unter anderem voraus, dass ein Versicherungsunternehmen seinen Sitz in der Schweiz hat sowie als Aktiengesellschaft oder Genossenschaft formiert und der ordentlichen Revision gemäss Art. 727 OR unterstellt ist (Art. 1f lit. a – c nAVO). Die Sandbox steht nur bestimmten Versicherungszweigen der Schadenversicherung zur Verfügung (Versicherungszweige B3–B9 und B14–18 nach Anhang 1 nAVO). Lebensversicherungs-, Unfall- und Krankenversicherungsunternehmen sind von der Aufsichtsbefreiung ausgeschlossen (Art. 1f lit. d nAVO).
Weitere Voraussetzungen der Sandbox beziehen sich auf den Geschäftsumfang. Das Geschäft darf maximal 5’000 Policen mit einem gesamten Prämienvolumen von maximal CHF 5 Mio. umfassen. Sodann müssen die Versicherungsunternehmen ihre Kundinnen darüber informieren, dass sie nicht der Aufsicht der FINMA unterstellt sind (Art. 1f lit.e und f nAVO).
Damit ist die Sandbox sehr klein, weshalb fraglich ist, ob ein innovatives Unternehmen mit diesen Einschränkungen ein profitables Geschäft betreiben kann. Immerhin kann die Aufsichtsbefreiung in einer Anfangsphase helfen. Und zudem kann die FINMA für ein kleines Versicherungsunternehmen der Aufsichtskategorie 5 (d.h. weniger als CHF 100 Mio. Bilanzsumme) bei Neubewilligungen für einen Zeitraum von maximal drei Jahren Erleichterungen gewähren (Art. 1e nAVO). Diese beziehen sich auf die SST-Anforderungen und die Anforderungen an die Organisation des Versicherungsunternehmens. Ausserdem gibt es weitere Aufsichtserleichterungen für kleine Versicherungsunternehmen.
Art. 1c und 1d nAVO sehen für kleine Erst- und Rückversicherungsunternehmen der Aufsichtskategorie 4 (d.h. weniger als CHF 1 Mia. und mehr als CHF 100 Mio. Bilanzsumme) und Aufsichtskategorie 5 (d.h. weniger als CHF 100 Mio. Bilanzsumme) Erleichterungen bei Art, Umfang und Frequenz der Berichterstattung an die FINMA vor. Bei Erstversicherungsunternehmen wird dafür vorausgesetzt (Art. 1c nAVO), dass sie:
- im Dreijahresdurchschnitt einen SST Quotienten von mindestens 250% aufweisen;
- ihr gebundenes Vermögen zu mindestens 130% des Sollbetrages mit Vermögenswerten nach Art. 79 Abs. 2 nAVO (d.h. Bargeld, Anleihen, Beteiligungspapiere, inländische Wohn- und Geschäftshäuser, derivative Finanzinstrumente zur Absicherung und Anteile an kollektiven Kapitalanlagen) gedeckt ist;
- ihr aufsichtsrechtliches Mindestkapital dauernd zu 150% gedeckt ist;
- per 31. Dezember weder einen bilanziellen Verlustvortrag aus den Vorjahren ausweisen noch einen Verlustvortrag aus dem laufenden Jahr erwarten;
- über eine solide Planung, eine vorausschauende und einwandfreie Geschäftsführung und stabile Kennzahlen verfügen;
- über einen von der FINMA genehmigten Abwicklungsplan verfügen, sofern sie kein Neugeschäft mehr schreiben;
- keine anderweitigen Aufsichtserleichterungen erhalten; und
- keinen aufsichtsrechtlichen Massnahmen ausgesetzt waren und gegen sie kein Verfahren wegen Verletzungen von aufsichtsrechtlichen Bestimmungen eröffnet wurde.
Diese Voraussetzungen für Aufsichtserleichterungen (vgl. bezüglich SST und gebundenes Vermögen) können somit nur Erstversicherungsunternehmen erfüllen, die solvent und stabil aufgestellt sind.
Für kleine Rückversicherungsunternehmen sind die Voraussetzungen für Aufsichtserleichterungen weniger streng (Art. 1d nAVO). Sie müssen der FINMA jährlich lediglich eine Bestätigung zur Einhaltung der regulatorischen Anforderungen zur Unternehmensführung, zum Risikomanagement, zum internen Kontrollsystem sowie zur internen Revision einreichen. Ausserdem dürfen gegen sie keine aufsichtsrechtlichen Massnahmen ergriffen und kein Verfahren wegen Verletzungen von aufsichtsrechtlichen Bestimmungen eröffnet worden sein. Sofern sie kein Neugeschäft mehr schreiben, müssen diese Rückversicherungsunternehmen zusätzlich über einen von der FINMA genehmigten Abwicklungsplan verfügen.
III. Festlegung von Kriterien für versicherungsnahe bzw. -fremde Geschäfte
Das aktuelle Versicherungsaufsichtsgesetz sieht vor, dass Versicherungsunternehmen neben dem Versicherungsgeschäft ausschliesslich Geschäfte betreiben dürfen, die damit in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Andere Geschäfte dürfen nur mit Bewilligung der FINMA ausgeübt werden, wobei die FINMA eine solche Bewilligung erteilen darf, wenn das betroffene Geschäft die Interessen der Versicherten nicht gefährdet (Art. 11 VAG). Die Regelung soll sicherstellen, dass die Ansprüche der Versicherungsnehmerinnen nicht durch Risiken aus nicht beaufsichtigten Aktivitäten des Versicherungsunternehmens kontaminiert werden. Als Folge dieser Beschränkung werden nicht-versicherungstypische Tätigkeiten in der Praxis regelmässig an Tochtergesellschaften ausgelagert.
Im Zuge der Teilrevision des VAG wird diese Regelung zugunsten der Innovationsförderung und Berücksichtigung von Kundenbedürfnissen leicht angepasst. Neben dem Versicherungsgeschäft dürfen Versicherungsunternehmen inskünftig deshalb (a) Geschäfte betreiben, die mit dem Versicherungsgeschäft in einem Zusammenhang stehen (sog. versicherungsnahes Geschäft) und (b) mit Bewilligung der FINMA Geschäfte betreiben, die in keinem Zusammenhang mit dem Versicherungsgeschäft stehen (sog. versicherungsfremdes Geschäft; vgl. Art. 11 Abs. 1 nVAG).
Im Gegensatz zur bestehenden Regelung ist für die Qualifikation als versicherungsnahes Geschäft damit in Zukunft kein «unmittelbarer» Zusammenhang mit dem Versicherungsgeschäft mehr erforderlich. Nach den Materialien soll den Versicherungsunternehmen damit etwas mehr Spielraum gewährt werden, materiell sollen sich dadurch jedoch keine grundsätzlichen Änderungen ergeben.
Neu wird in der Aufsichtsverordnung zudem konkretisiert, wann ein Geschäft als versicherungsnah gilt (Ziff. III.B unten), welche Anforderungen ein Versicherungsunternehmen beim Betrieb eines versicherungsnahen Geschäfts zu berücksichtigen hat (Ziff. III.C unten) und welche Voraussetzungen für die Bewilligung eines versicherungsfremden Geschäfts durch die FINMA gegeben sein müssen (Ziff. III.D unten). Auf diese Änderungen soll im Folgenden eingegangen werden.
B. Kriterien zur Abgrenzung zwischen versicherungsnahen und -fremden Geschäften
Weder das VAG noch die AVO enthalten in ihrer aktuellen oder künftigen Version eine abschliessende Definition, welche konkreten Tätigkeiten als versicherungsnahe bzw. versicherungsfremd gelten. Um die Abgrenzung klarer auszugestalten, wird in die neue Aufsichtsverordnung immerhin eine generell-abstrakte Definition der «Geschäfte im Zusammenhang mit dem Versicherungsgeschäft» eingefügt. Demnach soll ein Geschäft einen Zusammenhang mit dem Versicherungsgeschäft aufweisen, wenn (a) es einen funktionalen Bezug zum Versicherungsgeschäft hat und (b) sein Umfang eng begrenzt ist (Art. 5b Abs. 1 nAVO). Im Einklang mit der bisherigen Praxis der FINMA sollen Geschäfte unter Gesellschaften derselben Versicherungsgruppe dabei immer als versicherungsnahe Geschäfte gelten, unabhängig davon, ob sie die Anforderungen nach Art. 5b Abs. 1 nAVO erfüllen.
Gemäss Art. 5b Abs. 1 lit. a nAVO ist für das Vorliegen eines versicherungsnahen Geschäfts ein funktionaler Bezug zum Versicherungsgeschäft erforderlich. Das betroffene Geschäft muss damit nicht unmittelbar an den Abschluss eines Versicherungsvertrages oder an die Prämienkalkulation geknüpft sein. Es reicht vielmehr, wenn das Geschäft von seiner Funktion her eine Ergänzung zum Versicherungsgeschäft darstellt oder sich direkt aus dem Versicherungsgeschäft ergibt. Nach den Materialien sollen deshalb beispielsweise die folgenden Tätigkeiten einen Zusammenhang zum Versicherungsgeschäft aufweisen können: Risk Engineering, Cyberberatung, Vorsorgeberatung, Vermögensberatung, IT-System-Einsätze, Valet-Services, Call Centers oder das reine Vermitteln von Produkten und Dienstleistungen Dritter durch ein Versicherungsunternehmen. Ein Versicherungsunternehmen darf diese Produkte oder Dienstleistungen selbst dann vermarkten, auch wenn sie nicht im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Versicherungsprodukts stehen. Entscheidend ist, dass das Versicherungsunternehmen für diese Produkte und Dienstleistungen die Expertise und die notwendigen Prozesse besitzt.
Zusätzlich zum funktionalen Bezug zum Versicherungsgeschäft verlangt Art. 5b Abs. 1 lit. b nAVO, dass die Geschäftstätigkeit im Umfang «eng begrenzt» ist. Diese umfangmässige Beschränkung ist im nVAG nicht vorgesehen, weshalb sich die Frage der Gesetzmässigkeit stellt. Diese Begrenzung soll nach dem Verordnungsgeber jedoch sicherstellen, dass der enge Bezug zum Versicherungsgeschäft gewahrt bleibt und das Versicherungsunternehmen trotz der Nebentätigkeit nicht zu einem «Gemischtwarenanbieter» wird. Wann ein Geschäft als eng begrenzt gilt, hängt nach den Materialien von den Umständen im Einzelfall ab (z.B. massgebender Versicherungszweig, Art des Geschäfts und Beschränkung des Kundenkreises auf Versicherungsnehmerinnen). Als Daumenregel soll von einer engen Begrenzung ausgegangen werden können, wenn die aus dem betroffenen Geschäft erwirtschafteten Gebühren im tiefen einstelligen Prozentbereich des Umsatzes des Versicherungsunternehmens bleiben. Ob eine solche enge Begrenzung im Sinne des Gesetzgebers ist, ist fraglich. Dies gilt umso mehr als, er den Versicherungsunternehmen mit der neuen Regelung mehr Spielraum für die Innovationsförderung und Berücksichtigung von Kundenbedürfnissen gewähren wollte.
Für den Fall, dass die Voraussetzungen für ein versicherungsnahes Geschäft nach Art. 5b Abs. 1 nAVO nicht mehr gegeben sind, ist dies umgehend der FINMA mitzuteilen, und das betroffene Geschäft muss in eine eigenständige juristische Einheit überführt werden (Art. 5b Abs. 4 nAVO). Zu denken ist dabei beispielsweise an den Fall, dass sich der Umsatz eines Geschäfts im Vergleich zu demjenigen des gesamten Versicherungsgeschäfts übermässig erhöht und das Geschäft mit der Zeit folglich nicht mehr als «eng begrenzt» gelten kann.
C. Anforderungen an den Betrieb von versicherungsnahen Geschäften
Um die Risiken zu kontrollieren, die sich aus einem versicherungsnahen Geschäft für das Versicherungsgeschäft ergeben können, sieht die teilrevidierte Aufsichtsverordnung bestimmte Vorgaben an die Ausübung solcher Geschäfte vor. Neben der allgemeinen Pflicht, die mit den versicherungsnahen Geschäften verbundenen operationellen und rechtlichen Risiken laufend zu erfassen, zu begrenzen und zu überwachen, wird in Art. 5b Abs. 2 nAVO klargestellt, dass die Vorschriften zum Risikomanagement (Art. 96-98a nAV) auch auf versicherungsnahe Geschäfte Anwendung finden und das Versicherungsunternehmen die versicherungsnahen Geschäfte im SST zu berücksichtigen hat. Die Berücksichtigung im SST soll dabei einzelfallbasiert erfolgen und namentlich von Art und vom Umfang der Risiken des versicherungsnahen Geschäfts abhängen.
Damit keine Vermischung von Erträgen und Bilanzpositionen aus dem Versicherungsgeschäft und den versicherungsnahen Geschäften erfolgt, verlangt Art. 5b Abs. 3 nAVO sodann, dass versicherungsnahe Geschäfte im Geschäfts- und Aufsichtsbericht nach Art. 25 nVAG gesondert ausgewiesen werden. Nach den Materialien scheint sich das Erfordernis der separaten Berichterstattung dabei nur auf Geschäfte zu beziehen, die sich auf die Bilanz des Versicherungsunternehmens auswirken. Bei reinen Beratungstätigkeiten, die bilanzneutral erfolgen, könnte dementsprechend argumentiert werden, dass keine gesonderte Berichterstattung notwendig ist.
D. Bewilligung von versicherungsfremden Geschäften durch die FINMA
Weist ein Geschäft keinen Zusammenhang zum Versicherungsgeschäfts i.S.v. Art. 5b Abs. 1 nAVO auf, darf es nur mit Bewilligung der FINMA ausgeübt werden. Ein solcher Zusammenhang fehlt unseres Erachtens nicht nur bei Geschäften, die keinen funktionalen Bezug zum Versicherungsgeschäft haben, sondern auch bei versicherungsnahen Geschäften, welche die Voraussetzung der engen Begrenzung des Geschäfts nicht erfüllen.
Um Transparenz und Klarheit zu schaffen, werden neu in Art. 5c Abs. 1 nAVO die Kriterien aufgeführt, unter welchen die FINMA eine solche Ausnahmebewilligung erteilen kann. Vorausgesetzt wird demnach, dass (i) das betroffene Geschäft die Interessen der Versicherungsnehmerinnen nicht gefährdet, (ii) das Versicherungsunternehmen die Risiken aus dem Geschäft beherrscht und (iii) die Aufsicht der FINMA dadurch nicht unverhältnismässig erschwert wird. Damit letztere Voraussetzung nicht ausschliesslich vom Ermessen der FINMA abhängt, soll es dem Versicherungsunternehmen nach den Materialien immerhin offenstehen, ihr die Art des betroffenen Geschäfts im Detail zu erläutern.
IV. Risikoabsorbierende Kapitalinstrumente
A. Finanzierung von Versicherungsunternehmen
Die Versicherungsunternehmen finanzieren sich hauptsächlich über Gesellschaftskapital und risikoabsorbierende Kapitalinstrumente (im Markt auch Tier 2-Instrumente genannt), die als ergänzendes Kapital qualifizieren (Art. 49 AVO; vgl. Ziff. IV.B unten). Die revidierte AVO wird an dieser Finanzierungsstruktur im Grundsatz nichts ändern, ausser dass zusätzlich noch Tier 1-Instrumente geschaffen werden (vgl. Ziff. IV.C unten).
Der Charakter der Tier 2-Instrumente als reine Aufschub-Instrumente wird beibehalten, wonach die Zahlung der Kapitalforderung und fälliger Schuldzinsen unter bestimmten Voraussetzungen, die im Vertrag festgelegt werden müssen (vgl. Ziff. IV.D unten), aufgeschoben werden. Ausserhalb eines Sanierungs- oder Konkursverfahrens können deshalb die Tier 2-Instrumente nicht abgeschrieben oder in Eigenkapital gewandelt werden. Die Ansprüche der Gläubigerinnen bleiben deshalb vollumfänglich gewahrt. Im Sanierungs- oder Konkursfall ist die allfällige Verlusttragung nicht vertraglich, sondern gesetzlich geregelt. Dabei werden Verluste zuerst vollständig durch die Aktionäre und erst dann von den Gläubigern gemäss der Gläubigerhierarchie (no creditor worse off-Prinzip) getragen (Art. 52d Abs. 3 und 4 nVAG). Entsprechend besteht kein Grund, die gesetzlich verankerte Gläubigerhierarchie in diesen Fällen nicht zu berücksichtigen.
B. Einbettung der risikoabsorbierenden Kapitalinstrumente in die Solvenzordnung
Die Bestimmungen zur Ausstattung mit Kapital (Solvabilität) werden materiell nicht geändert. Ziel der AVO-Revision ist es vielmehr, die Solvenzbestimmungen stufengerecht auf Verordnungsebene zu regeln. Mithin sollen beispielsweise das anzustrebende Schutzniveau des SST (Art. 22 nAVO) sowie die Interventionsschwellen vom Bundesrat vorgegeben werden, und nicht – wie bisher – von der FINMA. Ausserdem werden teilweise Begriffe angepasst, um die Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Anforderungen zu verbessern.
Versicherungsunternehmen müssen über ausreichende Solvabilität verfügen (Art. 9 Abs. 1 nVAG; vgl. unter bisherigem Recht Art. 9 Abs. 1 VAG). Ausreichend ist die Solvabilität, wenn ein Versicherungsunternehmen für seine gesamte Tätigkeit ausreichend kapitalisiert ist, um Verluste aus ungünstigen Ereignissen zu absorbieren. Dabei soll das Risiko, dass Versicherte oder andere Gläubigerinnen zu Schaden kommen auf einem gesellschaftlich akzeptablen tiefen Niveau gehalten werden. Ob die Solvabilitätsanforderungen erfüllt sind, wird anhand des Schweizer Solvenztests (SST) gemessen. Vereinfacht ausgedrückt stellt der SST dasjenige Kapital, über welches ein Versicherungsunternehmen angesichts der eingegangenen Risiken verfügen sollte (sog. Zielkapital), demjenigen Kapital gegenüber, welches das Versicherungsunternehmen tatsächlich hat (sog. risikotragendes Kapital). Das Resultat des SST wird als Quotient aus dem risikotragenden Kapital im Zähler und dem Zielkapital im Nenner ausgedrückt (Art. 39 Abs. 1 nAVO). Dieser SST-Quotient muss immer mindestens 100% betragen.
Das risikotragende Kapital eines Versicherungsunternehmens besteht aus der Summe des Kernkapitals und des ergänzenden Kapitals (Art. 32 Abs. 1 nAVO). Unter der alten, wie auch der revidierten AVO, wird das Kernkapital auf der Basis der SST-Nettoaktiven berechnet. Neben den SST-Nettoaktiven kann an das Kernkapital neu auch der Betrag der risikoabsorbierenden Kapitalinstrumente in Tier 1 bis zu einer betragsmässigen Auswirkung von höchstens 20 % des Kernkapitals angerechnet werden (Art. 34 Abs. 5 nAVO). Neu wird zudem der Mindestbetrag (Art. 30 Abs. 4 nAVO) nicht mehr separat ausgewiesen und zum Kernkapital hinzuaddiert wird, sondern von den SST-Nettoaktiven als Verbindlichkeit abgezogen. Dies vereinfacht die Definition des Zielkapitals sowie des SST-Quotienten und erhöht die Vergleichbarkeit mit anderen Solvenzsystemen.
Wie schon bisher können Versicherungsunternehmen auch unter der revidierten AVO mit Genehmigung der FINMA sogenannte risikoabsorbierende Kapitalinstrumente im Rahmen des ergänzenden Kapitals an das risikotragende Kapital anrechnen oder im Rahmen des Zielkapitals berücksichtigen (Art. 35 und 37 nAVO). Neu sind hingegen die Umschreibung solcher Instrumente, die Voraussetzungen für deren Anrechenbarkeit sowie die betragsmässige Höhe der Anrechenbarkeit.
C. Begrifflichkeiten und betragsmässige Anrechenbarkeit
Risikoabsorbierende Kapitalinstrumente sind Instrumente, welche bestimmte eigenkapitalähnliche und verlustabsorbierende Eigenschaften aufweisen, wie beispielsweise subordinierte Anleihen und Darlehen (sog. Hybridkapital). Bisher unterschied die AVO zwischen oberem und unterem ergänzendem Kapital (Art. 47 und 49 AVO). Diese Unterscheidung wird unter der revidierten AVO fallen gelassen und analog zur Bankenregulierung durch das Konzept von sog. «Tiers» mit unterschiedlicher Eigenmittelqualität ersetzt (Art. 37 nAVO).
Tier 1-Instrumente sind unbefristet bzw. haben keinen festen Rückzahlungstermin (Art. 38 nAVO). Zusätzlich müssen sie mindestens bei Unterschreiten der Schwelle von 80 % des SST-Quotienten, im Zeitpunkt drohender Überschuldung oder bei Entzug der Bewilligung entweder durch vollständige Forderungsreduktion wegfallen oder in statutarisches Eigenkapital gewandelt werden (Art. 37 Abs. 1 lit. c Ziff. 2 nAVO). Dem Versicherungsunternehmen steht es jedoch frei, weitere vertragliche Ereignisse (sog. Trigger) mit derselben Wirkung zu definieren. Tier 1-Instrumente können mit Genehmigung der FINMA neu bis zu einer betragsmässigen Auswirkung von höchstens 20% Prozent des Kernkapitals angerechnet werden (Art. 34 Abs. 5 nAVO). Werden Tier 1-Instrumente nicht dem Kernkapital angerechnet, können sie mit Genehmigung der FINMA im Zielkapital oder im risikotragenden Kapital bis zu einer betragsmässigen Auswirkung von höchstens 100% der SST-Nettoaktiven berücksichtigt bzw. angerechnet werden (Art. 34 Abs. 6 nAVO).
Tier 2-Instrumente sind entweder unbefristet oder haben eine ursprüngliche Laufzeit von mindestens fünf Jahren (Art. 38 Abs. 2 nAVO). Für die Anrechenbarkeit solcher Instrumente ist erforderlich, dass das Versicherungsunternehmen mindestens bei Unterschreiten der Schwelle von 100% des SST-Quotienten oder bei Insolvenzgefahr die Zahlung der Kapitalforderung und fälliger Schuldzinsen aufschieben kann (Art. 37 Abs. 1 lit. c Ziff. 2 nAVO). Auch hier kann das Versicherungsunternehmen weitere vertragliche Trigger vorsehen. Tier 2-Instrumente können nicht an das Kernkapital angerechnet werden, aber mit Genehmigung der FINMA im Zielkapital oder im risikotragenden Kapital bis zu einer betragsmässigen Auswirkung von höchstens 100% der SST-Nettoaktiven berücksichtigt bzw. angerechnet werden (Art. 34 Abs. 6 nAVO). Bisher konnten risikoabsorbierende Kapitalinstrumente mit einer ursprünglichen Laufzeit von mindestens fünf Jahren bloss bis zu einer betragsmässigen Auswirkung von höchstens 50% der SST-Nettoaktiven berücksichtigt bzw. angerechnet werden (Art. 47 Abs. 2 i.V.m. Art. 49 Abs. 2 AVO).
Weiterhin möglich ist die Anrechnung risikoabsorbierender Kapitalinstrumente im Gruppen-SST. Die Voraussetzungen dafür sind in Art. 198d nAVO geregelt.
D. Voraussetzungen der Anrechenbarkeit
Damit die Anrechenbarkeit eines risikoabsorbierenden Instruments von der FINMA genehmigt werden kann, muss dieses eine Reihe von Anforderungen erfüllen. Die Anforderungen zur Anrechenbarkeit entsprechen grundsätzlich den Voraussetzungen des geltenden Art. 22a AVO, wurden aber im Rahmen der Vernehmlassung zur AVO weiter ausgebaut und geschärft. Im Gegensatz zur bisherigen technischen Regelung mittels Rangrücktritt, welcher eine Überschuldung in der Bilanz nicht zu beseitigen vermochte, soll die revidierte AVO risikoabsorbierenden Kapitalinstrumenten ermöglichen, einen Konkurs zu verhindern (vgl. dazu auch Art. 51 Abs. 4 nVAG). In diesem Sinne stellt die revidierte AVO den Grundsatz auf, dass risikoabsorbierende Kapitalinstrumente in ihrer risikoabsorbierenden Wirkung durch keinerlei Mechanismen massgeblich beeinträchtigt werden dürfen (Art. 37 Abs. 4 nAVO).
Konkret müssen risikoabsorbierende Kapitalinstrumente folgende Voraussetzungen erfüllen, damit sie angerechnet bzw. berücksichtigt werden können (Art. 37 Abs. 1 nAVO):
- Sie sind tatsächlich einbezahlt und nicht mit Vermögenswerten des Versicherungsunternehmens sichergestellt (Art. 37 Abs. 1 lit. a nAVO).
- Sie können nicht mit Forderungen des Versicherungsunternehmens verrechnet werden (Art. 37 Abs. 1 lit. b nAVO).
- Der Vertrag, der die Vertragsbeziehung zwischen dem Versicherungsunternehmen und den Gläubigerinnen regelt, muss unwiderruflich festlegen (Art. 37 Abs. 1 lit. c nAVO):
- im Fall von Tier 1- und Tier 2-Instrumenten, dass
- die Kapitalforderung und Zinszahlungen bei Liquidation, Konkurs oder Sanierung gegenüber allen nicht nachrangigen Forderungen und nicht an das risikotragende Kapital anrechenbaren oder im Zielkapital berücksichtigbaren nachrangigen Forderungen im Rang nachgehen (vgl. Art. 51a 4 lit. a nVAG, wie bereits Art. 22a lit. c AVO);
- die Kapitalforderung und die Zinszahlungen nur befriedigt werden dürfen, sofern alle vorrangigen Forderungen gedeckt sind, auch bei Liquidation, Konkurs oder Sanierung (vgl. Art. 51a 4 lit. b nVAG);
- keine Zahlungen auf der Kapitalforderung oder Zinszahlungen erfolgen, wenn diese zu ernsthaften Liquiditätsproblem führen würden (vgl. Art. 51a 4 lit. c nVAG);
- die FINMA ein solches auslösendes Ereignis bzw. einen Trigger mit einer Mitteilung an das Versicherungsunternehmen endgültig feststellen kann; und
- sich die Gläubigerinnen mit der endgültigen Feststellung des Eintritts eines auslösenden Ereignisses durch die FINMA sowie mit allfälligen von der FINMA gemäss Art. 51a nVAG angeordneten Massnahmen bei Insolvenzgefahr (wie namentlich Wandlung, Forderungsreduktion, Aufschub, Vertragsbeendigung, Stundung oder Fälligkeitsaufschub) einverstanden erklären.
- im Fall von Tier 2-Instrumenten, dass mindestens bei Unterschreiten der Schwelle von 100% des SST-Quotienten oder bei Insolvenzgefahr die Zahlung der Kapitalforderung und fälliger Schuldzinsen aufgeschoben wird; und
- im Fall von Tier 1-Instrumenten, dass (1) mindestens bei Unterschreiten der Schwelle von 100% des SST-Quotienten oder bei Insolvenzgefahr die Zahlung der Kapitalforderung und fälliger Schuldzinsen aufgeschoben wird (wie bei Tier 2-Instrumenten) und (2) mindestens bei Unterschreiten der Schwelle von 80% des SST-Quotienten, im Zeitpunkt drohender Überschuldung (trotz Art. 51a Abs. 4 nVAG, unter Berücksichtigung der entsprechenden Instrumente als Fremdkapital) oder bei Entzug der Bewilligung diese durch vollständige Forderungsreduktion wegfallen oder in statutarisches Eigenkapital gewandelt werden.
- im Fall von Tier 1- und Tier 2-Instrumenten, dass
- Sie sind auf Dauer ausgerichtet und können nur mit Zustimmung des Versicherungsunternehmens und nur mit vorheriger Genehmigung der FINMA vorzeitig zurückbezahlt werden, wobei diese Genehmigung erteilt wird, wenn das Versicherungsunternehmen nachweist, dass die Rückzahlung nicht zu einer Gefährdung der Solvenz führt (Art. 37 Abs. 1 lit. d nAVO, wie bereits materiell Art. 22a Abs. 1 lit. g AVO).
- Der Vertrag regelt, dass eine Rückzahlung eines befristeten Instruments nur dann erlaubt ist, wenn dies nicht zu einem Unterschreiten der Schwelle von 100% des SST-Quotienten oder zu einer Insolvenzgefahr führt oder das Instrument mit einem qualitativ und betragsmässig gleich- oder höherwertigen Instrument abgelöst wird (neu, Art. 37 Abs. 1 lit. e nAVO).
Tier 1-Instrumente können vorsehen, dass Gläubiger nach einer Abschreibung oder Wandlung an einer zeitlich nachgelagerten Verbesserung der finanziellen Lage des Versicherungsunternehmens partizipieren können (Art. 37 Abs. 2 nAVO).
Tier 2-Instrumente können sodann einen moderaten Anreiz zur Rückzahlung beinhalten, solange dieser Anreiz erst mindestens 10 Jahre nach Ausgabe Wirkung zeitigt (Art. 37 Abs. 3 nAVO).
E. Voraussetzungen im Zusammenhang mit der Garantie einer Gruppengesellschaft
In der Praxis wird ein risikoabsorbierendes Kapitalinstrument häufig von einer ausländischen Zweckgesellschaft emittiert, wobei das beaufsichtigte Versicherungsunternehmen als Garantiegeberin auftritt. In einem zweiten Schritt gibt die ausländische Zweckgesellschaft den Erlös aus der Emission des Instruments im Rahmen eines subordinierten Darlehens an eine Gruppengesellschaft weiter. In solchen Fällen können Versicherungsunternehmen dieses subordinierte, gruppeninterne Darlehen als risikoabsorbierendes Kapitalinstrument anrechnen bzw. berücksichtigen lassen wollen.
Diese Konstellation greift Art. 37 Abs. 5 – 7 nAVO neu konkret auf und stellt bestimmte Voraussetzungen an die Garantie des Versicherungsunternehmens für die Forderungen gegen die ausländische Zweckgesellschaft aus dem Instrument. Namentlich muss die Garantie sinngemäss die Voraussetzungen von Art. 37 Abs. 1 und 2 nAVO sowie von Art. 51a Abs. 4 lit. a-c nVAG erfüllen. Zudem müssen Doppelzahlungsrisiken angemessen limitiert werden, und die Garantin muss in der Schweiz domiziliert sein.
F. Bisherige risikoabsorbierende Kapitalinstrumente
Für risikoabsorbierende Kapitalinstrumente, die von der FINMA gemäss bisherigem Recht zur Anrechnung an das risikotragende Kapital oder Berücksichtigung im Zielkapital genehmigt wurden, stellt der Verordnungsgeber eine Übergangsregelung auf. Solche Instrumente dürfen bis zur Rückzahlung, aber maximal bis 10 Jahre nach Inkrafttreten der revidierten AVO als risikoabsorbierende Kapitalinstrumente in Tier 2 angerechnet werden, selbst wenn sie die neuen Voraussetzungen gemäss Art. 37 nAVO nicht erfüllen (Art. 216c Abs. 1 nAVO). Damit wird eine Interessenabwägung bezüglich des Fortbestandes der unter bisherigem Recht genehmigten risikoabsorbierenden Instrumente und der Einführung des neuen Rechts vorgenommen. Die FINMA kann die Frist von 10 Jahren in begründeten Fällen verlängern. Dies, um Härtefälle zu vermeiden.
Weiter müssen die risikoabsorbierenden Kapitalinstrumente gemäss bisherigem Recht – wie auch andere Forderungen, die vor Inkrafttreten des revidierten VAG begründet wurden – von der Wandlung von Fremd- in Eigenkapital und der Forderungsreduktion gemäss Art. 52d Abs. 4 VAG ausgenommen sein. Dies gebietet der rechtsstaatliche Grundsatz des Rückwirkungsverbots, der als ungeschriebenes Verfassungsrecht für Verwaltungshandlungen (wie z.B. für Anordnungen der FINMA zur Wandlung von Fremd- in Eigenkapital und der Forderungsreduktion) gilt. Danach darf neues Recht aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht auf Sachverhalte angewendet werden, die sich vor Inkrafttreten des Erlasses verwirklicht haben. Hätte der Gesetzgeber eine Rückwirkung gewollt, hätte dies explizit ins VAG aufgenommen werden müssen. Der Verordnungsgeber ist aufgrund des schwerwiegenden Eingriffs in die Gläubigerrechte dazu nicht befugt.
V. Versicherungszweckgesellschaften
Versicherungszweckgesellschaften werden bei Transfers von versicherungstechnischen Risiken an den Kapitalmarkt eingesetzt. Im Unterschied zu ausländischen Jurisdiktionen (z.B. Deutschland, Vereinigtes Königreich) sieht das geltende schweizerische Versicherungsaufsichtsgesetz keine Spezialbestimmungen für Versicherungszweckgesellschaften vor.
Die Ausgestaltung von Versicherungszweckgesellschaften ist in der Praxis mannigfaltig. Die Zweckgesellschaft ist als Risikomittlerin im Zentrum einer Risikotransferkette bei der Umwandlung von Versicherungsrisiken in Finanzmarktprodukte. Errichtet werden die Versicherungszweckgesellschaften in der Regel von Versicherungsunternehmen, Versicherungsvermittlern oder anderen Sponsoren, die Risiken an den Kapitalmarkt transferieren wollen.
Der Gesetzgeber regelt neu die Versicherungszweckgesellschaften. Eine Regelung der Versicherungszweckgesellschaften wurde jedoch erst im Verlauf der parlamentarischen Beratung aufgenommen. Gesetzlich geregelt werden neu der Begriff der Versicherungszweckgesellschaft (Art. 30e nVAG) und die Risikogruppen (Art. 30f nVAG). Die revidierte Aufsichtsverordnung enthält Detailregeln. Ziel ist es, diese Konstrukte auf liberale und gleichzeitig rechtssichere Weise zu regeln, so dass sich solche Gesellschaften auch in der Schweiz ansiedeln können.
Hauptmerkmal einer Versicherungszweckgesellschaft ist, dass sie nicht als Versicherungsunternehmen qualifiziert (Art. 30e Abs. 1 lit. a nVAG). Mithin gilt die Versicherungszweckgesellschaft nicht als Versicherungsunternehmen im eigentlichen Sinn, d.h. nach Art. 2 Abs. 1 lit. a nVAG und Art. 2 Abs. 1 lit. b VAG.
Art. 111d nAVO legt fest, dass die AVO auf Versicherungszweckgesellschaften nur sinngemäss Anwendung findet und diverse Gesetzesbestimmungen (ähnlich wie bei der Rückversicherung, vgl. Art. 35 VAG) zum Vornherein unbeachtlich sind. Nicht anwendbar sind beispielsweise Bestimmungen zur Versicherungsvermittlung, zu Gruppen und Konglomeraten, zur Bewilligung von Versicherungsunternehmen, zum verantwortlichen Aktuar oder zu Schutzmassnahmen, Massnahmen bei Insolvenzgefahr und Liquidation.
Nach Art. 111e Abs. 1 nAVO können Versicherungszweckgesellschaften alle Arten von Beteiligungs- oder Schuldinstrumenten emittieren, die nach FIDLEG als Finanzinstrumente gelten. Analog zu den Versicherungsunternehmen sind auch Versicherungszweckgesellschaften nicht dem FIDLEG unterstellt, soweit ihre Tätigkeit dem VAG untersteht (Art. 2 Abs. 2 Bst. d FIDLEG).
Was die Rechtsform der Zweckgesellschaft betrifft, zeigt sich die revidierte AVO sehr liberal. Die Versicherungszweckgesellschaft kann gemäss Art. 111j nAVO die Rechtsform einer Aktiengesellschaft, Genossenschaft oder Stiftung aufweisen.
Gemeinsam ist diesen Rechtsformen, dass sie zur Verfolgung bestimmter Zwecke errichtet werden können. Als selbständige Trägerin von Rechten und Pflichten ist die Versicherungszweckgesellschaft ein eigenes Rechtssubjekt bzw. mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet.
Der Hauptunterschied dieser Rechtsformen liegt in der Art der Zusammensetzung des Rechtsträgers. Die Aktiengesellschaft und die Genossenschaft sind eine Vereinigung von Personen, die einen selbstgesetzten Zweck verfolgt und sich eine zweckdienliche Organisation gibt. Die Stiftung ist demgegenüber eine nicht in einem Personenverband bestehende, als juristische Persönlichkeit anerkannte Organisation zur Verfolgung bestimmter Zwecke. Es ist ein verselbständigtes, mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattetes Zweckvermögen, das – wie Körperschaften – von einer eigenen Organisation verwaltet wird.
Mit der Wahl einer Stiftung kann gewährleistet werden, dass ein Unternehmen eine Stiftung als Versicherungszweckgesellschaft errichten und mit ihr zusammenarbeiten kann, ohne dass eine Pflicht zur Konsolidierung oder Unterstellung unter eine konsolidierte Aufsicht besteht. Denn mit dieser Rechtsform lassen sich die Beherrschung oder der massgebliche Einfluss, die für eine Konsolidierung massgebend sind, verhindern.
Obwohl die Bestimmungen zur Bewilligung von Versicherungsunternehmen (Art. 3 – 13 VAG) nicht auf Versicherungszweckgesellschaften anwendbar sind (vgl. Art. 111d Abs. 1 nAVO), bedeutet dies nicht, dass sie keiner Bewilligungspflicht unterliegen. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie gemäss Gesetz der Aufsicht durch die FINMA unterstellt sind (Art. 2 Abs. 1 lit. e nVAG). Deshalb gelten für Versicherungszweckgesellschaften die Bewilligungsvorschriften gemäss Art. 111j – 111l nAVO, die spezifisch auf diese Gebilde zugeschnitten sind und sich an den Grundsätzen des im Finanzmarktrecht Üblichen orientierten.
Für eine Bewilligung der FINMA müssen die Voraussetzungen nach VAG und AVO eingehalten werden, die jedoch im Vergleich zu jenen bei den Versicherungsunternehmen erleichtert sind. Zu nennen sind etwa: Wie bei Versicherungsunternehmen müssen die mit der Verwaltung und Geschäftsführungen betrauten Personen einen guten Ruf geniessen und Gewähr für einwandfreie Geschäftstätigkeit bieten (Art. 30e Abs. 3 lit. d nVAG). Zudem ist ein angemessenes Risikomanagement und eine wirksame interne Kontrolle vorausgesetzt, die unter anderem die Einhaltung der rechtlichen und unternehmensinternen Vorschriften gewährleistet (Compliance) (Art. 30e Abs. 3 lit. b nVAG).
Im Unterschied zu den klassischen Versicherungen ist jedoch eine weitgehende Auslagerung von Führungs- und Kontrollfunktionen zulässig (Art. 111l nAVO). Mit Ausnahme der Oberleitung, Oberaufsicht und Kontrolle durch das Oberleitungsorgan (vgl. Art. 111l Abs. 1 Satz 2; z.B. der Verwaltungsrat bei der Aktiengesellschaft) können gemäss Art. 111l Abs. 2 nAVO die Geschäftsführung und Verwaltung nach Massgabe eines Organisationsreglements ganz oder zum Teil einzelnen Mitgliedern oder Dritten, seien es juristische oder natürliche Personen, übertragen werden.
Und schliesslich kann eine Versicherungszweckgesellschaft mit dem Mindestkapital von CHF 100’000 errichtet werden (Art. 111k nAVO).
In der Praxis besteht das Bedürfnis, dass eine Versicherungszweckgesellschaft gleichartige Risiken von verschiedenen Versicherungsunternehmen oder verschiedenartige Risiken desselben Versicherungsunternehmens übernehmen kann, damit nicht jedes Mal dafür ein neuer Rechtsträger errichtet werden muss.
Kennzeichnend für solche Risikogruppen ist, dass sie wie eigenständige Unternehmen behandelt werden, denen jedoch keine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt. Dieses Konzept ist in der Schweizer Rechtslandschaft nicht unbekannt. So lässt das Kollektivanlagengesetz kollektive Kapitalanlagen mit Teilvermögen zu, die nur für ihre jeweiligen eigenen Verbindlichkeiten haften. Gleiches gilt im Recht der Anlagestiftungen, bei denen eine Unterteilung in verschiedene Anlagegruppen zulässig ist. Das Vermögen der Anlagegruppen wird jeweils rechtlich gesondert behandelt. Auch dem gebundenen Vermögen von Versicherungsunternehmen, das im Sanierungs- und Konkursverfahren als Sondervermögen behandelt wird, liegen ähnliche Überlegungen zugrunde.
Mit den Risikogruppen führt der Gesetzgeber die Möglichkeit der Segmentierung der Versicherungszweckgesellschaft ein. Eine Risikogruppe bezieht sich auf ein spezifisches Risiko, das die Versicherungszweckgesellschaft von einer bestimmten Zedentin übernimmt und vollständig über die Emission von entsprechenden Finanzinstrumenten absichert (Art. 30f Abs. 1 Satz 4 nVAG).
Eine Risikogruppe wird im Rechtsverkehr wie ein unabhängiges, eigenständiges Unternehmen behandelt, ohne dass ihr eine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt. Die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit einer Risikogruppe zeigt sich in drei Bereichen: im Teilvermögen (Art. 30f Abs. 1 Satz 3 nVAG), im Aussenauftritt und in der Haftung (Art. 30f Abs. 2 nVAG).
Für die Errichtung einer Risikogruppe sind bestimmte Transparenz- und Offenlegungspflichten einzuhalten. Eine Risikogruppe kann nur errichtet werden, wenn die Statuten die Oberleitungsorgane dazu ermächtigen (Art. 111m Abs. 1 nAVO). Die Errichtung einer Risikogruppe erfolgt nach Massgabe eines Risikoreglements, das gewisse Bestimmungen zwingend enthalten muss (Art. 111m Abs. 2 nAVO). Es muss insbesondere für die einzelne Risikogruppe den Geschäftsbereich, die Organisation und Vertretung und das Teilvermögen (einschliesslich Gebühren und Kosten zulasten der Risikogruppe) definieren. Das Risikogruppenreglement muss den Anlegerinnen der Risikogruppe zugänglich gemacht werden. Sofern es nicht elektronisch zugänglich ist, kann jede Anlegerin verlangen, dass es ihr zugestellt wird (Art. 111m Abs. 3 nAVO).
Eine Risikogruppe kann durch Beschluss des Oberleitungsorgans aufgehoben werden, wobei diesfalls die Anlegerinnen gleich zu behandeln und frühzeitig zu informieren sind (Art. 111u Abs. 1 und 2 nAVO). Die Statuten oder das Risikogruppenreglement regeln die Aufhebung. Aus dem Erlös des Teilvermögens einer Risikogruppe werden vorweg ihre Schulden getilgt. Sollte ein Überschuss bestehen, wird er anteilig an die Anlegerinnen der betroffenen Risikogruppe verteilt. Die Statuten oder das Risikogruppenreglement können eine andere Aufteilung solcher Überschüsse bestimmen. Ist ein Teilvermögen zahlungsunfähig, gelten die Artikel 53 ff. VAG sinngemäss.
Das Gesamtvermögen einer Versicherungszweckgesellschaft umfasst gemäss Art. 30f Abs. 1 nVAG das Gesellschaftsvermögen und das Risikovermögen der Risikogruppen (Art. 111n Abs. 1 Satz 1 nAVO). Das Gesellschaftsvermögen besteht aus dem Vermögen, das nicht den einzelnen Risikogruppen zugeordnet ist (Art. 111n Abs. 1 Satz 2 nAVO).
Das Risikovermögen gliedert sich in die Teilvermögen der einzelnen Risikogruppen. Jede Risikogruppe verfügt über ein rechtlich verselbstständigtes Teilvermögen, das ein eigenes Haftungssubstrat darstellt (Art. 111n Abs. 1 und Abs. 2 nAVO).
Eine Risikogruppe bezieht sich auf ein spezifisches Risiko, das die Versicherungszweckgesellschaft von einer Zedentin übernimmt und vollständig über die Emission von entsprechenden Finanzinstrumenten absichert. Jedes Teilvermögen wird von den jeweiligen Anlegerinnen geäufnet. Nach Art. 111n Abs. 2 nAVO müssen die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten der einzelnen Teilvermögen eindeutig identifizierbar sein und voneinander sowie vom Gesellschaftsvermögen getrennt gehalten werden. Entsprechend muss für das Gesellschaftsvermögen und für die einzelnen Risikogruppen gesondert Buch geführt werden (Art. 111t Abs. 1 nAVO).
Für jede Risikogruppe wird eine Anlegerversammlung eingesetzt. Für die Einberufung und Durchführung der Anlegerversammlung gelten die Art. 699 – 700, 701a – 703 des Obligationenrechts sinngemäss (Art. 111p Abs. 1 nAVO).
Die Anlegerinnen bilden eine Gemeinschaft, die ihre Beschlüsse in der Anlegerversammlung fällt. Das Stimmrecht der Anlegerinnen richtet sich dabei nach ihrem Anteil am Teilvermögen.
Die Anlegerversammlung ist befugt, über diejenigen Gegenstände Beschlüsse zu fassen, die im Gesetz, in der Aufsichtsverordnung, in den Statuten der Versicherungszweckgesellschaft oder im Risikogruppenreglement vorgesehen sind. Vorbehalten sind die Schranken des Gesetzes, wenn die Anlegerversammlung Massnahmen zur Wahrung der gemeinsamen Interessen der Anlegerinnen beschliessen möchte.
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