Brexit: «Mind the Gap»

Abstract

Der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs (Brexit) wurde mit dem britischen Referendum vom 23. Juni 2016 angestossen. Mit der Unterzeichnung des Austrittsabkommens vom 31. Januar 2020 wurde der EU-Austritt per Jahresende 2020 besiegelt[1]. Die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU sind daher ab dem 1. Januar 2021 nicht mehr auf das Vereinigte Königreich anwendbar.

 

Auswirkungen auf Ausländer- und Sozialversicherungsrecht

Brexit und die Schweiz

In den Jahren 2016 bis 2019 sind durchschnittlich 4’200 Briten pro Jahr in die Schweiz übergesiedelt. Zwar hat die Zahl gegenüber früheren Jahren abgenommen, da die EU insbesondere aufgrund der EU-internen Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit als Zuwanderungsdestination attraktiver wurde; sie macht aber immer noch rund 2.6% der gesamten jährlichen Zuwanderung in die Schweiz aus. Zudem erbrachten etwa im Jahr 2019 rund 3’800 Personen aus dem Vereinigten Königreich Dienstleistungen in der Schweiz.

Deshalb verfolgte der Bundesrat die sogenannte «Mind the Gap»-Strategie, mit welcher er rechtliche Lücken vermeiden sowie gegenseitige Rechte und Pflichten aufrechterhalten wollte. In den Bereichen des Migrations- und Sozialversicherungsrechts beschränkt sich dies allerdings grösstenteils auf die Wahrung der bis zum 31. Dezember 2020 entstandenen Rechte. Ab dem 1. Januar 2021 gelten demgegenüber neue Spielregeln.

Migrationsrecht

Während britische Staatsangehörige bislang von der Personenfreizügigkeit profitieren konnten, unterstehen sie neu grundsätzlich den allgemeinen Bestimmungen des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG). Ausnahmen betreffen einerseits die gemäss Abkommen zwischen der Schweiz und dem UK[2] bis zum 31. Dezember 2020 erworbenen Rechte und anderseits die Dienstleistungserbringung von bis zu 90 Tagen gemäss Abkommen zur grenzüberschreitenden Mobilität[3].

Die nachfolgende Übersicht gibt, vereinfacht dargestellt, die nunmehr im Bereich des Migrationsrechts geltenden Regeln wieder:

Einreise von UK-Staatsangehörigen in die Schweiz bis zum 31. Dezember 2020 = UK-Staatsangehörige mit erworbenen Rechten (“grandfathering”):

  • Weiterführung der folgenden (erworbenen) Rechte:
    • Aufenthalt mit Erwerbstätigkeit
    • Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit
    • Recht auf Familiennachzug (allerdings beschränkt bis 31. Dezember 2025)
    • Grenzgängertätigkeit
  • Wegfall des Schutzes, wenn die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind (z.B. Wegzug, Gefahr für die öffentliche Ordnung)

Einreise von UK-Staatsangehörigen in die Schweiz ab dem 1. Januar 2021 = neu einreisende UK-Staatsangehörige:

  • Keine Visumpflicht
  • Erwerbstätigkeit in der Schweiz erfordert Arbeitsbewilligung unter denselben Voraussetzungen, die für übrige Drittstaatenangehörige gelten (gemäss AIG); Sonderkontingent von 2’100 B-Bewilligungen und 1’400 L-Bewilligungen
  • Dienstleistungserbringung von bis zu 90 Tagen pro Kalenderjahr: Anwendung des Meldeverfahrens (wie bis anhin unter dem Freizügigkeitsabkommen, FZA) ohne arbeitsmarktrechtliche Prüfung; gilt für Unternehmen mit Sitz im UK unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Entsandten, sofern die Entsandten seit mind. zwölf Monaten auf dem regulären UK-Arbeitsmarkt zugelassen sind
  • Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit (z.B. Umzug von vermögenden Privatpersonen): Regeln gemäss AIG anwendbar

Sozialversicherungsunterstellung

Während der EU-Mitgliedschaft Grossbritanniens kamen die Regeln gemäss Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zur Anwendung. Diese sind allerdings seit dem 1. Januar 2021 im Verhältnis zum Vereinigten Königreich nicht mehr anwendbar. Dem Vernehmen nach beabsichtigen die Schweiz und das Vereinigte Königreich neue Koordinierungsregeln vorzusehen. Allerdings ist die entsprechende Vereinbarung noch nicht final ausgehandelt. Bis dahin gilt das bilaterale Sozialversicherungsabkommen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich[4].

Die nachfolgende Übersicht gibt, vereinfacht dargestellt, die unterschiedlichen Regeln hinsichtlich der Sozialversicherungsunterstellung wieder:

Grenzüberschreitende Situationen mit Bezug zur EU, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz, die bis zum 31. Dezember 2020 begonnen hatten, schaffen erworbene Rechte:

  • Erfasster Personenkreis, für den sich hinsichtlich Versicherungsunterstellung nichts ändert, solange diese Personen in einer grenzüberschreitenden Situation sind (d.h. solange aufgrund von Staatsangehörigkeit, Tätigkeit oder Wohnsitz ein Bezug zu beiden Staaten und ggf. zusätzlich zu einem EU-Mitgliedstaat besteht):
    • UK-Staatsangehörige in einer grenzüberschreitenden Situation zwischen der Schweiz und der EU
    • Schweizer Staatsangehörige in einer grenzüberschreitenden Situation mit dem Vereinigten Königreich und der EU
    • EU-Staatsangehörige in einer grenzüberschreitenden Situation im Verhältnis Schweiz – Vereinigtes Königreich
    • Weitere Personen, die nicht (mehr) in einer grenzüberschreitenden Situation sind, wenn sie das Recht haben, im anderen Staat zu arbeiten oder zu wohnen (z.B. CH-Staatsangehörige, die nach Ablauf ihrer Entsendung im Vereinigten Königreich arbeiten oder ihre Erwerbstätigkeit im Vereinigten Königreich aufgeben, aber dort wohnen bleiben)
  • Versicherungsunterstellung:
    • Derselbe Staat ist weiterhin zuständig für die Sozialversicherungen, erhebt Beiträge und gewährt Leistungen ohne Diskriminierung
    • A1 Bescheinigungen betreffend grenzüberschreitende Situationen, welche vor dem 1. Januar 2021 begonnen haben, bleiben für die Dauer der grenzüberschreitenden Situation bzw. für die Dauer der Gültigkeit der A1 Bescheinigung bestehen

Grenzüberschreitende Situationen mit Bezug zur EU, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz ab dem 1. Januar 2021:

  • Entsendung von britischen Staatsangehörigen oder Staatsangehörigen von Drittstaaten (d.h. nicht EU/UK/CH) zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich: Anwendung des bilateralen Sozialversicherungsabkommens vom 21. Februar 1968[5]
  • Entsendung von britischen Staatsangehörigen zwischen der Schweiz und EU-Staaten: Gegebenenfalls Anwendung der bilateralen Sozialversicherungsabkommen zwischen der Schweiz und dem jeweiligen EU-Staat
  • Grenzüberschreitende Sachverhalte ausserhalb einer Entsendung: Anwendung des bilateralen Sozialversicherungsabkommens vom 21. Februar 1968 hinsichtlich CH- und UK-Staatsangehörigen, nicht aber hinsichtlich anderen Staatsangehörigen

Fazit

Der Brexit bedeutet insbesondere für Unternehmen, die britische Staatsangehörige beschäftigen wollen, dass diese – anders als bisher – zunächst das Verfahren auf Erteilung einer Arbeitsbewilligung durchlaufen müssen. Auch wenn im Jahr 2021 die Anzahl der verfügbaren Bewilligungskontingente ausreichen dürfte, um die Nachfrage abzudecken, bedeutet dies einen zusätzlichen administrativen Aufwand für die HR-Abteilungen und einen längeren Planungszeitraum bei der Umsiedlung von Mitarbeitenden. Schliesslich führt dies auch zu einer gewissen Planungsunsicherheit, da es an einem Rechtsanspruch auf Bewilligungserteilung fehlt.

Hinsichtlich der Sozialversicherungsunterstellung besteht nun seit dem 1. Januar 2021 ein Flickenteppich mit einigen nach wie vor offenen Fragen. Es kann nur vermutet werden, dass sich die Verwaltung mit Blick auf einen erwarteten Abschluss eines neuen, umfassenden und vermutlich an die EU-Regelungen angelehnten Sozialversicherungsabkommens nicht um die Schaffung von Klarheit und die Publikation umfassender Weisungen oder FAQ bemüht hat. Das bedeutet gerade für die HR-Abteilungen eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Es bleibt zu hoffen, dass es den Verhandlungspartnern gelingt, rasch ein neues, umfassendes Sozialversicherungsabkommen abzuschliessen.

[1] Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft. in: Amtsblatt der europäischen Union. L 29, 31. Januar 2020, S. 7–187 (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:12020W/TXT).

[2] Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland über die Rechte der Bürgerinnen und Bürger infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und des Wegfalls des Freizügigkeitsabkommens vom 25. Februar 2019, BBl 2020 1085 (https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2020/1085.pdf).

[3] Temporary Agreement between the Swiss Confederation and the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland on Services Mobility vom 14. Dezember 2020 (https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/64471.pdf).

[4] Abkommen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland über Soziale Sicherheit vom 21. Februar 1968, SR 0.831.109.367.1 (https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19680033/196904010000/0.831.109.367.1.pdf), das allerdings nur die AHV, IV, UV, KV und FZ umfasst, wohingegen unter dem FZA auch die EL, BV und ALV abgedeckt waren.

[5] Vgl. Fn. 4.

Falls Sie Fragen zu diesem Bulletin haben, wenden Sie sich bitte an Ihren Homburger Kontakt oder an: