
Strengere Vorschriften für die Einfuhr von Kulturgütern in die EU
Abstract
Die neuen Vorschriften gelten für die Einfuhr von Kulturgütern, die ausserhalb der EU geschaffen oder entdeckt wurden. Je nach Kategorie, Alter und Wert kann die Einfuhr solcher Kulturgüter in die EU eine Einfuhrgenehmigung oder eine Erklärung des Einführers erfordern. Kulturgüter, die unrechtmässig aus ihrem Ursprungsstaat verbracht wurden, dürfen grundsätzlich nicht in die EU eingeführt werden.
EU-Verordnung 2019/880 verlangt ab dem 28. Juni 2025 für gewisse Kulturgüter eine Einfuhrlizenz oder eine Erklärung des Einführers.
A. Einführung
Ziel der Verordnung (EU) 2019/880 (die Verordnung) und der Durchführungsverordnung (EU) 2021/1079 ist der Schutz des kulturellen Erbes sowie die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung und der organisierten Kriminalität durch den illegalen Handel mit Kulturgütern. Ab dem 28. Juni 2025 tritt die Verordnung vollständig in Kraft. Das strenge Regelwerk bezweckt die Einfuhr von Kulturgütern illegalen Ursprungs in die EU zu verhindern. Die Verordnung betrifft ausschliesslich Kulturgüter, die ausserhalb der EU geschaffen oder entdeckt wurden.[1]
Aber was genau sind Kulturgüter? Kulturgüter sind bedeutungsvolle bewegliche Gegenstände für Archäologie, Vorgeschichte, Geschichte, Literatur, Kunst oder Wissenschaft, die einer der drei Kategorien (A–C) des Anhangs der Verordnung angehören. Dazu gehören beispielsweise archäologische Objekte, Antiquitäten, Inschriften, Münzen oder Gegenstände von künstlerischem Interesse wie Gemälde, Zeichnungen oder Skulpturen.
B. Risikobasierte Einfuhrvorschriften
Nicht alle Kulturgüter sind gleichstark von illegalem Handel, Plünderungen oder unrechtmässigen Ausgrabungen betroffen.[2] Daher sieht die Verordnung ein risikobasiertes System von Einfuhrregeln vor:
- Generelles Verbringungsverbot: Die Verbringung von Kulturgütern in die EU, die rechtswidrig aus ihrem Ursprungsstaat ausgeführt wurden, ist seit dem 28. Dezember 2020 verboten. Dies gilt für alle Kulturgüter, die im Anhang Teil A der Verordnung aufgeführt sind – unabhängig von Alter oder Wert.
- Einfuhrgenehmigung: Für archäologische Kulturgüter und Bestandteile von architektonischen Monumenten, die älter als 250 Jahre sind, ist unabhängig vom Wert eine Einfuhrgenehmigung erforderlich. Dies betrifft Kulturgüter des Anhangs Teil B der Verordnung.
- Erklärung des Einführers: Bestimmte Kategorien von Kulturgütern, die älter als 200 Jahre sind und einen Mindestwert von EUR 18’000 erreichen, erfordern eine Erklärung des Einführers. Diese besteht aus zwei Teilen: erstens aus einer Online-Registrierung mit Objektbeschreibung und zweitens aus einer Erklärung des Einführers zur rechtmässigen Herkunft. Diese Regelung betrifft die im Anhang Teil C aufgeführten Kulturgüter.
Ein wesentlicher Paradigmenwechsel der Verordnung ist die Beweislastumkehr: Der Nachweis der rechtmässigen Ausfuhr aus dem Ursprungsstaat obliegt dem Einführer. Einführer meint den Besitzer[3] des Kulturguts, der die Einfuhrlizenz beantragt oder die Einfuhrerklärung abgibt. Dies kann z.B. der Eigentümer, aber auch ein Auktionshaus oder eine Kunstgalerie sein. Der Einführer muss durch geeignete Unterlagen nachweisen, dass das Kulturgut legal aus dem Ursprungsstaat ausgeführt wurde – unabhängig davon, ob zum Zeitpunkt früherer Ausfuhren, Einfuhren oder Übertragungen Dokumentationspflichten bestanden. Der Nachweis, dass ein Kulturgut rechtmässig aus seinem Herkunftsstaat ausgeführt wurde, muss in erster Linie in Form von Ausfuhrbescheinigungen und in zweiter Linie durch andere Dokumente erbracht werden, die die rechtmässige Ausfuhr aus dem Herkunftsland belegen. Wenn die Rechtsvorschriften des Ursprungsstaats zum Zeitpunkt der Ausfuhr keine Ausfuhrgenehmigung vorschrieben, muss dies ebenfalls nachgewiesen werden.
Der Einfuhrgenehmigungsantrag sowie die Erklärung des Einführers können über das zentrale elektronische System (das ICG-System) abgewickelt werden, das am 28. Juni 2025 in Betrieb gehen soll. Die Bearbeitung eines Einfuhrgenehmigungsantrages kann bis zu 90 Tage dauern – ein Umstand, der im Kunstmarkt kritisiert wird, da er grenzüberschreitende Geschäfte erschwert. Die zuständige Behörde im Einfuhrmitgliedstaat prüft den Antrag und erteilt gegebenenfalls die Einfuhrgenehmigung. Die Einfuhrgenehmigung oder die Erklärung des Einführers ist zusammen mit der Zollanmeldung der Zollbehörde des Bestimmungsstaats vorzulegen. Die EU-Mitgliedstaaten müssen eigene Sanktionsregeln für Verstösse gegen die Verordnung einführen, weshalb die Sanktionen je nach Staat variieren können. So können neben Bussgeldern, Geld- und Freiheitsstrafen auch die Beschlagnahme und Einziehung des Kulturguts drohen.
C. Ausnahmen von der Einfuhrlizenz oder Erklärung des Einführers
Keine Einfuhrgenehmigung oder Erklärung des Einführers ist erforderlich für Kulturgüter, die:
- vorübergehend von Bildungs-, Wissenschafts- oder Forschungseinrichtungen bzw. Museen zwecks Konservierung und/oder Ausstellung in die EU verbracht werden;
- als Rückwaren in die EU wiedereingeführt werden;
- von einer ausländischen Behörde einer Behörde eines EU-Mitgliedstaats zur sicheren Verwahrung übergeben werden, um sie vor unmittelbar drohender Zerstörung zu schützen.
Eine Ausnahme von der Einfuhrgenehmigungspflicht gilt auch bei der vorübergehenden Einfuhr von Kulturgütern zur Präsentation auf kommerziellen Kunstmessen: In diesen Fällen genügt eine Erklärung des Einführers. Wird das Kulturgut jedoch auf der Messe verkauft und verbleibt folglich in der EU, so ist die Einfuhr nachträglich zu deklarieren und eine Einfuhrgenehmigung einzuholen.
D. Ausnahmeregelungen
Die geografische Ausdehnung antiker Reiche und Kulturen entspricht häufig nicht heutigen Staatsgrenzen. In der Praxis ist es daher oft nicht möglich, den Ursprungsstaat eines Kulturguts zweifelsfrei zu bestimmen. Darüber hinaus könnten Kulturgüter bereits lange vor Inkrafttreten von Ausfuhrregelungen aus ihrem Ursprungsstaat verbracht worden sein.
Der Nachweis, dass eine Ausfuhr vor 20, 40 oder gar 100 Jahren rechtmässig war, stellt für Einführer eine erhebliche Hürde dar. Heute übliche Standards zur Provenienz waren früher nicht die Norm. Die Verordnung sieht daher eine Ausnahmeregelung vor, wenn der Ursprungsstaat nicht zuverlässig ermittelbar ist oder das Kulturgut vor dem 24. April 1972 aus diesem ausgeführt wurde.[4] In diesen Fällen kann im Einfuhrgenehmigungsantrag belegt werden, dass das Kulturgut legal aus dem Staat ausgeführt wurde, in dem es sich mindestens fünf Jahre und für andere Zwecke als vorübergehende Verwendung, Durchfuhr, Wiederausfuhr oder Umladung befand. Eine analoge Regelung gilt für die Erklärung des Einführers.
E. Auswirkungen auf den Kunstmarkt, Sammler und Zollfreilager in der Schweiz
Das vollständige Inkrafttreten der Verordnung bringt für alle Akteure im grenzüberschreitenden Handel mit Kulturgütern erhebliche Unsicherheiten mit sich und erfordert erhöhte Sorgfalt bei der Verbringung von Kulturgut aus der Schweiz in die EU. Marktteilnehmer – darunter Kunsthändler, Auktionshäuser, Sammler, Zollfreilager oder Spediteure in der Schweiz – sehen sich mit neuen rechtlichen Anforderungen und potenziellen Verzögerungen konfrontiert. Auch unterschiedliche Anwendungen der neuen Verordnung durch Zollbehörden verschiedener EU-Mitgliedstaaten sind nicht auszuschliessen. Die neuen Regelungen könnten den Kunsthandel spürbar hemmen, da bei Marktteilnehmern Unsicherheit darüber entstehen kann, ob ein Kulturgut überhaupt rechtmässig in die EU eingeführt werden darf.
Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit den neuen Anforderungen ist empfehlenswert, um Komplikationen beim Verkauf, Leihgaben oder der Ausstellung von Kulturgut aus der Schweiz in die EU zu verhindern. Neben der genauen Prüfung, ob eine Einfuhrlizenz oder eine Einfuhrerklärung für die Verbringung von Kulturgut in die EU nötig ist, muss auch abgeklärt werden, ob die dazu nötigen Dokumente zum Objekt vorhanden sind oder beschafft werden können. Da nach Schweizer Recht die im Kunsthandel- und Auktionswesen tätigen Personen in der Schweiz verpflichtet sind, ihre Kunden über die Ein- und Ausfuhrregeln der Vertragsstaaten der UNESCO-Konvention von 1970 aufzuklären, umfasst die Aufklärungspflicht auch die Einfuhrregeln der neuen Verordnung.
Fest steht: Der Handel von Kulturgütern aus der Schweiz mit der EU wird durch die Verordnung beeinflusst. Ob dadurch Kunstmärkte ausserhalb der EU gestärkt oder die Schweiz als Drehscheibe für den internationalen Kunst- und Antiquitätenhandel an Attraktivität verlieren wird, bleibt abzuwarten.
[1] Der Begriff „Staat, in dem ein Kulturgut geschaffen oder entdeckt wurde“ wird in diesem Bulletin synonym mit „Ursprungsstaat“ verwendet.
[2] Spezifische EU-Regulierung wurde implementiert, um Kulturgut aus Konfliktzonen des Irakkrieges (Verordnung (EU) Nr. 1210/2003) oder des Syrienkrieges (Verordnung (EU) Nr. 36/2012) besonders zu schützen.
[3] Nach EU-Zollkodex ist «Besitzer der Waren» die Person, die Eigentümer der Waren ist oder eine ähnliche Verfügungsbefugnis besitzt beziehungsweise in deren tatsächlicher Verfügungsgewalt sich die Waren befinden.
[4] Am 24. April 1972 trat das UNESCO-Übereinkommen von 1970 über Massnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unrechtmässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut in Kraft, das die Vertragsstaaten auffordert, Massnahmen zum Verbot und zur Verhütung des illegalen Handels mit Kulturgut zu ergreifen. In der Schweiz wurden die UNESCO-Konvention von 1970 und die UNESCO-Konvention von 2001 durch das Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (KGTG, SR 444.1) in nationales Recht umgesetzt. Das KGTG ist seit dem 1. Juni 2005 in Kraft.
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