Discovery in den USA für Schweizer Schiedsverfahren
Abstract
Ein Discovery-Verfahren nach US-amerikanischem Muster kann den Verlauf eines Schiedsverfahrens mit Sitz in der Schweiz massgeblich beeinflussen. Die Zulässigkeit eines Discovery-Verfahrens zwecks Verwendung der erlangten Materialien in kommerziellen Schiedsverfahren im Ausland bleibt in den USA indessen umstritten.
2021 hätte der U.S. Supreme Court entscheiden sollen, ob U.S. Federal District Courts ein Discovery-Verfahren nach US-amerikanischem Muster zwecks Verwendung der erlangten Materialien in ausländischen Schiedsverfahren anordnen können. Der Fall wurde jedoch auf gemeinsamen Antrag der Parteien hin abgeschrieben, bevor sich der U.S. Supreme Court mit der Sache befassen konnte. Nun liegt dem U.S. Supreme Court erneut ein Fall mit der gleichen Frage vor. Eine Stellungnahme wird im Juli dieses Jahres erwartet. Wie wir erläutern, bleiben die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Durchführung des Discovery-Verfahrens bis zur Stellungnahme durch den U.S. Supreme Court ungewiss.
Der U.S. Supreme Court entscheidet über die Zulässigkeit von Discovery-Verfahren im Zusammenhang mit internationalen Schiedsverfahren
Am 10. Dezember 2021 beschloss der U.S. Supreme Court, einen Fall zur Frage zu entscheiden, ob U.S. Federal District Courts ein Discovery-Verfahren zwecks Verwendung der herausverlangten Dokumente in einem ausländischen Schiedsverfahren anordnen können. Damit wird auch geklärt, ob die Parteien eines Schiedsverfahrens mit Sitz in der Schweiz Beweismittel über ein Discovery-Verfahren in den USA erhältlich machen können. Die Entscheidung des U.S. Supreme Courts wird bis Juli 2022 erwartet.
Der U.S. Supreme Court hatte bereits zuvor in Sachen Servotronics v. Rolls-Royce beschlossen, die gleiche Frage zu prüfen. Der Fall wurde jedoch am Anfang des letzten Jahres auf gemeinsamen Antrag der Parteien hin abgeschrieben; die Frage blieb damit unbeantwortet.[1] Seither lassen einige U.S. Federal District Courts weiterhin ein Discovery-Verfahren zu, währenddem andere dies nicht tun. Die Möglichkeit eines Discovery-Verfahrens nach US-amerikanischem Muster und die Informationen, welche mit einem solchen Verfahren gewonnen werden können, vermögen massgeblichen Einfluss auf ein Schiedsverfahren zu nehmen. Teilweise können durch das Discovery-Verfahren Dokumente und Informationen erhältlich gemacht werden, welche durch das Schiedsgericht kaum herausverlangt würden oder gar nicht herausverlangt werden könnten.
Im Mittelpunkt der Kontroverse steht die Frage, ob der Passus «ein ausländisches oder internationales Gericht» im Sinne von § 1782 des 28. Titels des U.S. Codes auch private, kommerzielle Schiedsgerichte umfasst.[2] Der vor dem U.S. Supreme Court hängige Fall betrifft den Entscheid eines Bundesrichters aus Michigan, in welchem dieser anordnete, dass die amerikanische Niederlassung des Automobilbestandteilherstellers ZF Group Dokumente an den in Hong Kong ansässigen Elektronikhersteller Luxshare Ltd. herauszugeben habe, zwecks Verwendung der Dokumente in einem laufenden Schiedsverfahren in Deutschland.[3] Der U.S. Supreme Court hat das Verfahren mit einem anderen Verfahren vereinigt, welches eine angefochtene Entscheidung des U.S. Federal District Courts für den 2. Circuit zum Gegenstand hat.[4]
Rechtlicher Hintergrund
Gemäss § 1782(a) können U.S. Federal District Courts den Parteien Rechtshilfe zur Herausgabe von Informationen und Dokumenten gewähren, die in den USA gelegen sind. Das Gesetz erlaubt die Anwendung des Discovery-Verfahrens «zur Verwendung in einem Verfahren vor einem ausländischen oder internationalen Gericht». Im Einzelnen besagt das Gesetz:
«Der District Court des Districts, in welchem eine Person wohnt oder sich aufhält, kann anordnen, dass diese in einem Verfahren vor einem ausländischen oder internationalen Gericht, einschliesslich strafrechtlicher Ermittlungen, welche vor einer förmlichen Anklage durchgeführt werden, eine Aussage oder Erklärung abgibt oder ein Dokument oder eine andere Sache vorlegt. Die Anordnung kann aufgrund eines Rechtshilfegesuchs oder eines Gesuchs eines ausländischen oder internationalen Gerichts oder aufgrund eines Antrags einer Person mit einem schutzwürdigen Interesse ergehen und kann vorsehen, dass die Aussage oder Erklärung vor einer vom Gericht bestellten Person abzugeben bzw. das Schriftstück oder die Sache diesem vorzulegen ist.»[5]
Die Rechtshilfe gemäss § 1782 kann gewährt werden, wenn drei Voraussetzungen gegeben sind: (1) die Person, von der die Offenlegung durch das Discovery-Verfahren verlangt wird, muss im District des angerufenen Gerichts wohnen oder sich dort aufhalten; (2) die Offenlegung muss für ein Verfahren vor einem ausländischen oder internationalen Gericht bestimmt sein; und (3) der Antrag muss von einem ausländischen oder internationalen Gericht oder einer Person mit einem schutzwürdigen Interesse gestellt werden. Zu beachten ist, dass ein U.S. Federal District Court einem Antrag nach § 1782 auch ohne die Genehmigung oder Zustimmung durch das ausländische Schiedsgericht stattgeben kann. Demgegenüber erfordert das Schweizer Recht die Zustimmung des Schiedsgerichts, wenn es um die Mitwirkung des staatlichen Gerichts bei einem ausländischen Schiedsverfahren geht.[6]
Wenn die drei Voraussetzungen erfüllt sind, kann das Gericht nach seinem Ermessen über die Herausgabe entscheiden. Dabei werden vier Faktoren berücksichtigt: (a) ob die beantragten Dokumente oder Zeugenaussagen in den Zuständigkeitsbereich des ausländischen Gerichts fallen und somit auch ohne Rechtshilfe nach § 1782 zugänglich wären; (b) die Art des ausländischen Gerichts, die Gegebenheiten des Verfahrens im Ausland und die Haltung der ausländischen Regierung, Gerichte oder Behörden gegenüber der Rechtshilfe von US-Gerichten; (c) ob sich hinter dem Antrag nach § 1782 ein Versuch verbirgt, ausländische Beschränkungen bei der Beweiserhebung oder andere Massnahmen eines ausländischen Staates oder der USA zu umgehen; und (d) ob die Anträge einen übermässigen Aufwand verursachen.[7]
Der Rechtsstreit
Die ungelöste Frage vor dem U.S. Supreme Court ist, ob ein privates, internationales Schiedsgericht mit Sitz im Ausland ein «ausländisches oder internationales Gericht» im Sinne von § 1782 ist. Die U.S. Federal District Courts sind sich nicht einig, ob das Gesetz es ihnen erlaubt, ein Discovery-Verfahren zur Unterstützung in ausländischen kommerziellen Schiedsverfahren zu gewähren.
Der U.S. Federal District Court für den 2. Circuit, zu welchem auch New York gehört, und der U.S. Federal District Court für den 5. Circuit, zu welchem auch Texas gehört, sind der Ansicht, dass sich der Passus «ausländisches oder internationales Gericht» nur auf staatliche Instanzen, wie z.B. Verwaltungs- oder Untersuchungsgerichte, bezieht.[8] Der U.S. Federal District Court des 6. Circuits, zu welchem auch Michigan und Ohio gehören, hat demgegenüber entschieden, dass der Begriff «Gericht» auch private Schiedsgerichte umfasst.[9] Im Falle von Servotronics v. Rolls-Royce, welcher vor dem U.S. Supreme Court hängig war und aufgrund Verfahrensabschreibung nicht entschieden wurde, gab der U.S. Federal District Court für den 4. Circuit, zu welchem auch Washington, D.C. gehört, einem Antrag auf Anwendung von § 1782 statt, währenddem der U.S. Federal District Court für den 7. Circuit, zu welchem auch Illinois gehört, einen solchen Antrag ablehnte.[10] Diese verworrene Rechtslage führt dazu, dass die Gerichte im 4. und 6. Circuit einem Antrag stattgeben können, währenddem dieselben Gerichte im 2., 5. und 7. Circuit einen solchen ablehnen. Dies hat zu erheblichen Unsicherheiten hinsichtlich der Erfolgsaussichten eines solchen Antrags in anderen Circuits geführt.
Zudem stellt sich die Frage, ob das Discovery-Verfahren nach § 1782 mit dem Konzept der Schiedsvereinbarung kompatibel ist. Obwohl sich die Parteien auf ein (vertrauliches) Schiedsverfahren geeinigt hatten, waren die Parteien im Falle von Servotronics v. Rolls-Royce in einen jahrelangen Rechtsstreit vor den staatlichen US-Gerichten verwickelt, woraus mehrere Gerichtsentscheidungen ergingen. Diese sind öffentlich und ohne Schwärzungen im Internet zugänglich.[11] Rolls-Royce hatte vor dem U.S. Supreme Court denn auch argumentiert, dass die Parteien die Schiedsgerichtsbarkeit als «schnellere, kostengünstigere und berechenbarere Alternative zu einem staatlichen Gerichtsverfahren» wählten.[12] Sie hätten sich auch deshalb auf die Schiedsgerichtsbarkeit geeinigt, so Rolls-Royce, weil die Beweismittel, der Streitgegenstand und sogar die Existenz des Schiedsverfahrens an sich nicht öffentlich bekannt gegeben werden müssten[13] und um sicherzustellen, dass im Voraus verlässliche Regeln und Verfahren zur Entscheidung ihrer Streitigkeiten festgelegt würden.[14]
Ausblick
Die Klarstellung durch den U.S. Supreme Court soll bis Juli 2022 erfolgen. Es bleibt zu hoffen, dass der U.S. Supreme Court eine pragmatische und praktikable Lösung für die Parteien in internationalen kommerziellen Schiedsverfahren ausserhalb der USA vorlegen wird.
[1] Servotronics v. Rolls-Royce PLC, Nr. 20-794 (U.S. Sup. Ct. Dez. 11, 2020). Siehe Brief von Katherine B. Posner an Scott S. Harris vom 8. September 2021.
[2] Die Parteien in Investitionsschutzschiedsverfahren können sich auf § 1782 berufen.
[3] Die konsolidierten Fälle sind ZF Automotive US Inc. et al. v. Luxshare Ltd. Nr. 21-401; und.
[4] AlixPartners, LLP, et al. v. The Fund for Protection of Investors’ Rights in Foreign States, Nr. 21-518.
[5] 28 U.S.C. § 1782(a) (eigene Übersetzung).
[6] Siehe Art. 185a Abs. 2 IPRG.
[7] Intel vs. Advanced Micro Devices, 542 U.S. 241 (2004).
[8] Nat’L Broad. Co. Inc. v. Bear Stearns & Co., Inc. 165 F.3d 184, 189 (2d Cir. 1999); Republic of Kazakhstan v. Biedermann Int’l, 168 F.3d 880, 882 (5th Cir. 1999).
[9] In re Application to Obtain Discovery for use in Foreign Proceedings (FedEx), 939 F.3d 710, 723 (6th Cir. 2019).
[10] Vergleiche Servotronics, Inc. v. Rolls-Royce, 2020 WL 5640466 (7th Cir. Sept. 22, 2020) mit Servotronics Inc. v. Boeing Co., 954 F.3d 209, 210 (4th Cir. 2020).
[11] Id.
[12] Eingabe der Beklagten Rolls-Royce PLC, Servotronics, Nr. 20-794 (10. Februar 2021), 48.
[13] Id.
[14] Id. bei 49.
Falls Sie Fragen zu diesem Bulletin haben, wenden Sie sich bitte an Ihren Homburger Kontakt oder an:
Rechtlicher Hinweis
Dieses Bulletin gibt allgemeine Ansichten der Autorinnen und Autoren zum Zeitpunkt dieses Bulletins wieder, ohne dabei konkrete Fakten oder Umstände zu berücksichtigen. Es stellt keine Rechtsberatung dar. Jede Haftung für die Genauigkeit, Richtigkeit, Vollständigkeit oder Angemessenheit der Inhalte dieses Bulletins ist ausdrücklich ausgeschlossen.